Langzeiteffekt krankheitsmodifizierender Therapien

Bei ohne Hilfe gehfähigen Menschen mit schubförmig wiederkehrender Multipler Sklerose (MS) kommen seit Jahrzehnten die krankheitsmodifizierenden Therapien der ersten Generation –  Glatirameracetat (Copaxone) und Interferon-beta (Betaferon/Betaseron, Rebif, Avonex) – zum Einsatz, um die Anzahl der Schübe zu reduzieren. Bislang ging man davon aus, dass diese Therapien weder die Dauer und Schwere eines Schubes reduzieren noch eine Auswirkung auf das Fortschreiten einer Behinderung haben. Aktuelle Forschungsergebnisse belegen nun, dass mit diesen Therapien auch eine Reduktion der Behinderungsprogression erzielt werden kann.

ECTRIMS 2018

Verbesserung der Behinderungsprogression

Das 2002 gegründete, britische Multiple Sklerose-Risikoschema (Risk Sharing Scheme) wurde mit der Zielsetzung gegründet, MS-Betroffenen Zugang zu krankheitsmodifizierenden Medikamenten wie Glatirameracetat und Beta-Interferon zu ermöglichen. Das Risk Sharing Scheme umfasste eine 10-jährige Beobachtungsstudie mit 5.602 an schubförmig wiederkehrender MS erkrankten Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

Beim 34. Kongress der europäischen Multiple-Sklerose-Gesellschaft ECTRIMS, der von 10. bis 12. Oktober 2018 in Berlin stattfand, präsentierte Sarah Al-Izki eine Studie, in der bei Teilnehmerinnen und -teilnehmern mit schubförmig wiederkehrender MS ein Zusammenhang zwischen der Einnahme von Glatirameracetat und einer Verbesserung der Behinderungen festgestellt werden konnte.

Anhand der Studiendaten bewerteten die beteiligten Forscherinnen und Forscher die langfristige klinische und Kostenwirksamkeit der krankheitsmodifizierenden Medikamente. Die 10-Jahres-Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass diese Therapien sowohl klinisch als auch kosteneffektiv waren, wenn sie über einen Zeithorizont von 50 Jahren modelliert wurden (einschließlich eines 50-prozentigen Abnahmeeffekts nach 10 Jahren).

Im Risk Sharing Scheme wurden insgesamt 755 Personen mit schubförmig wiederkehrender MS registriert, die die Richtlinien der Association of British Neurologist (ABN) aus dem Jahr 2001 erfüllten und mit einer von Betroffenen und Ärztinnen und Ärzten präferierten krankheitsmodifizierenden Therapie behandelt wurden. Während des Zeitraums von 10 Jahren wurden pro Jahr die EDSS-Werte (Expanded Disability Status Scale) der Patientinnen und Patienten erfasst.

Darüber hinaus wurden Daten aus einer Untergruppe von Patienten aus der British Columbia MS-Datenbank zwischen 1980 und 1996 wurden verwendet, um ein kontinuierliches Markov-Modell zu erstellen, um den projizierten Krankheitsverlauf bei unbehandelten Menschen mit schubförmig wiederkehrender MS zu modellieren (n = 898). Das durch EDSS ermittelte Fortschreiten der Behinderung während des 10-jährigen Zeitraums sowie der Nutzenverlust bei behandelten gegenüber unbehandelten Menschen mit RMS bildeten den primären Erfolg.

Ergebnisse

Während eines durchschnittlichen Beobachtungszeitraums von 7,12 Jahren fanden die Forscherinnen und Forscher bei mit Glatirameracetat behandelten Probandinnen und Probanden eine Verringerung des EDSS um 16,5% sowie eine Verringerung des Nutzenverlusts um 25,0%.

Ein Vergleich der Ergebnisse von sechs und zehn Jahren ergab keinen Hinweis auf einen abnehmenden Effekt der Behandlung. Nach sechs Jahren wurde ein Unterschied von lediglich 1,2% in der EDSS-Progression beobachtet.

Al-Izki CS et al. Glatiramer acetate slows disability progression – final 10-year results from UK Risk Sharing Scheme. Presented at: 34th Congress of the European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis. October 10-12, 2018; Berlin, Germany. Abstract P1275.

Jaqueline Palace veröffentlichte mit ihren Kolleginnen und Kollegen im November 2018 eine Bewertung der langfristigen Wirksamkeit von Interferon-beta und Glatirameracetat bei Multipler Sklerose.

Die britischen Forschenden hatten die Ergebnisse von in Großbritannien behandelten Patientinnen und Patienten mit einer modellierten unbehandelten Kontrolle auf Basis der MS-Daten von British Columbia verglichen, um die langfristige Wirksamkeit dieser Behandlungen zu bewerten. Dafür kamen die zwei komplementäre Analysemodelle zum Einsatz: ein Multilevel-Modell (MLM) und ein kontinuierliches Markov-Modell.

Insgesamt waren die Daten von 4.862 Personen für die Primäranalyse geeignet (mittlere und mittlere Nachbeobachtungszeit 8,7 und 10 Jahre). Die EDSS-Verschlechterung wurde in der Gesamtkohorte um 28% (MLM), 7% (Markov) und 24% zeitlich angepasste Markov und um 31% (MLM) und 14% (Markov) bei Patienten mit schubförmiger Remission reduziert.

In der Gesamtkohorte wurde die Verschlechterung des Nutzens um 23 bis 24% reduziert, sämtliche Sensitivitätsanalysen zeigten einen Behandlungseffekt. Es gab eine Verzögerung von vier Jahren gegenüber EDSS 6.0, zudem zeigte sich eine scheinbare Abnahme des Behandlungseffekts mit der Zeit. Subgruppenanalysen ließen auf bessere Behandlungseffekte bei den früher behandelten und mit niedrigeren EDSS-Werten schließen.

Palace J, Assessing the long-term effectiveness of interferon-beta and glatiramer acetate in multiple sclerosis: final 10-year results from the UK multiple sclerosis risk-sharing scheme.