20 Forderungen für eine starke Sozialpolitik

Der Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen richtet 20 Forderungen an eine neue Bundesregierung, die in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden sollen. So soll sichergestellt werden, dass die Lebensqualität aller Menschen in Österreich erhöht wird. Darüber hinaus soll die sozialrechtliche Absicherung aller Personen mit Unterstützungsbedarf sichergestellt werden.

Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen: 20 Forderungen an eine neue Bundesregierung

Der Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen fordert u.a. den Ausbau persönlicher Assistenz, einen One-Stop-Shop für Hilfsmittel und Heilbehelfe und einen neuen Nationalen Aktionsplan Behinderung.

Der Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen ist Netzwerk, Plattform, Standortentwickler und Innovationsmotor für die soziale Wirtschaft in Wien. Mit mehr als 80 Mitgliedsorganisationen (u.a. der Multiple Sklerose Gesellschaft Wien) aus den Bereichen Pflege und Betreuung, Menschen mit Behinderungen, Wohnungslosenhilfe, soziale Innovation und Zivilgesellschaft sowie Flucht, Integration und Zusammenhalt bildet er die Breite und Vielfalt im Sozialbereich ab.

An eine neue Bundesregierung richtet der Dachverband 20 Forderungen, die in der kommenden Legislaturperiode umgesetzt werden sollen, um die Lebensqualität aller Menschen in Österreich zu erhöhen und eine sozialrechtliche Absicherung aller Personen mit Unterstützungsbedarf sicherzustellen.

Pflege und Betreuung

1. Staatliche Finanzierung der Pflege

Die staatliche Verantwortung für die Pflege muss aus einem Finanzierungstopf des Bundes für „Gesundheit und Soziales“ gesichert sein. Dabei braucht es transparente und klare Regeln über den Kostentransfer zwischen Gesundheits- und Pflegesystem. Die Garantie für einen Pflegefonds für alle Generationen jetzt und in Zukunft ist notwendig.

2. Mehr qualifiziertes Pflegepersonal

Damit ausreichend qualifiziertes Personal in Zukunft die Pflege und Betreuung übernehmen kann, braucht es eine Ausbildungsoffensive und eine ausreichende Anzahl an Ausbildungsplätzen. Das ist notwendig, um dem steigenden Pflegebedarf durch die Babyboomer-Generation entsprechen zu können. Für die Ausbildungszeit aller Berufsgruppen bedarf es einer Kostenübernahme zur Deckung des Lebensunterhalts in einem Stipendiensystem. Gleichzeitig braucht es eine Entlastung der pflegenden Angehörigen durch mehrstündige Entlastungsdienste, teilstationäre Einrichtungen (Tageszentren), aber auch ein Recht auf Beratung und Coaching.

3. Versorgungsplan für Hospiz und Palliative Care

Der frühe Einbezug von Hospiz und Palliative Care kann bereits ab der Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung positive Auswirkungen haben. Daher braucht es einen bundesweit abgestimmten Versorgungsplan und eine Regelfinanzierung unter der Beteiligung des Bundes, der Länder sowie der Sozialversicherung. Die Finanzierung ist auch für die Ausbildung von hauptberuflichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sicherzustellen.

4. Digitalisierungsausbau in der Pflege und Betreuung

Moderne Kommunikationsmittel können einen großen Beitrag zur Qualitätssicherung leisten. Für die Dokumentation aller unterschiedlicher Pflege- und Betreuungssettings kann ELGA weiter ausgebaut werden. Auf die Leistbarkeit der Produkte für die Nutzerinnen und Nutzer sowie Organisationen muss dabei geachtet werden.

5. Kompetenzerweiterung für den gehobenen Dienst für Gesundheit- und Krankenpflege

Mitarbeiter*innen des gehobenen Gesundheits- und Krankenpflegebereichs sollen die Kompetenz erhalten, Medizinprodukte aus den Bereichen Nahrungsaufnahme, Inkontinenzversorgung, Mobilitätshilfen sowie Verbandsmaterial zu weiterzuverordnen.

6. Ausbau der integrierten Versorgung

Die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Sektoren der Gesundheitsversorgung sowie der Pflege und Betreuung wird aufgrund immer komplexerer Krankheits- und Betreuungssituationen immer notwendiger. Eine Kommunikation der unterschiedlichen Berufsgruppen auf Augenhöhe und eine professionelle Abstimmung verbessert nicht nur die Lage für die Betroffenen, sondern wirkt auch ressourcenschonend. Ein flächendeckender Ausbau von Primärversorgungszentren sowie die verstärkte Zusammenarbeit mit den mobilen Diensten sind dafür zwei wichtige Schritte.

Menschen mit Behinderungen

7. Inklusive Bildung einführen

Die neue Bundesregierung muss sich zu einem inklusiven Bildungsansatz für alle Kinder und Jugendliche bekennen. Ein Stufenplan zur Umsetzung von inklusiven Angeboten soll umgesetzt werden, wobei darunter die Qualität nicht leiden sollte: Dazu gehört es, keine weiteren Sonderpädagogischen Zentren zu eröffnen, die Ausbildungen von (Sonder)-Pädagoginnen und Pädagogen zusammenzulegen sowie personelle und strukturelle Ressourcen sicherzustellen. Best Practice Modelle aus Europa können hier als Richtschnur dienen.

8. Persönliche Assistenz ausbauen

Die Regelungen für Persönliche Assistenz sind in jedem Bundesland unterschiedlich. Es braucht daher ein bundesweit einheitliches Modell, das für alle Menschen mit Behinderungen offensteht. Wie in Deutschland seit 2008 implementiert, kann ein persönliches Budget, das durch eine standardisierte Erhebung des individuellen Unterstützungsbedarfs zugeteilt wird, eine selbstbestimmte Entscheidung ermöglichen.

9. Neuer Nationaler Aktionsplan

Der Nationale Aktionsplan Behinderung (NAP), der von 2012 bis 2021 aufgesetzt wurde, soll evaluiert und mit weiteren konkreten Maßnahmen von 2022 bis 2030 ausgerollt werden. Die Bundesländer als Umsetzende müssen in die Entwicklung eingebunden werden und konkrete Kriterien zur Erfüllung müssen formuliert werden.

10. One-Stop-Shop für Hilfsmittel und Heilbehelfe

Derzeit müssen Betroffene, um benötigte Hilfsmittel oder Heilbehelfe zu erhalten, zu mehreren Stellen für die Beantragung, die Finanzierung und die Ausgabe. In Zukunft soll es eine Anlaufstelle in Form eines One-Stop-Shops geben, in welcher auch die Abklärung mit den verschiedenen Kostenträgern vorgenommen wird.

11. Sozialversicherung für Menschen mit Behinderungen in Tagesstrukturen

Rahmenbedingungen für die Einbindung von Menschen mit Behinderungen in Tagesstrukturen, also Einrichtungen mit beschäftigungstherapeutischen Angeboten, in die gesetzliche Sozialversicherung sollen erarbeitet werden. Gleichzeitig ist eine Neuausrichtung der Tagesstrukturen in Richtung sozialwirtschaftliche Betriebe mit Anstellungsverhältnissen wünschenswert. Generell muss es eine finanzielle Absicherung für Menschen mit komplexen Behinderungen geben.

Wohnungslosenhilfe

12. Soziale Vergabe von öffentlichen Wohnungen

Eine sichere, angemessene und dauerhaft leistbare Wohnung ist eine unabdingbare Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben. Wenn 25 Prozent aller öffentlich vergebenen Wohnungen für Personen bereitgestellt werden, die von sozialen Organisationen betreut werden, kann eine flächendeckende Wohnversorgung sichergestellt werden.

13. Ausbau des eigenständigen Wohnraums

Je normaler die Wohn- und Lebensbedingungen für von Wohnungslosigkeit betroffenen Personen gestaltet wird, desto besser gelingt die dauerhafte Inklusion. Daher soll der Schaffung von eigenem Wohnraum gegenüber der Unterbringung in betreuten Wohnhäusern Vorzug eingeräumt werden. Dafür sollen Housing-First-Angebote ausgebaut werden und nicht nur Beratungs- und Betreuungsangebote.

14. Leistbarkeit des Wohnraumes sicherstellen

Bei der Definition der Leistbarkeit einer Wohnung müssen die Wohnkosten mit dem verfügbaren Haushaltseinkommen in Beziehung gesetzt werden. Erst durch eine Gegenüberstellung der Wohnkosten mit den finanziellen Ressourcen können Aussagen über die langfristige Leistbarkeit des Wohnraums getroffen werden.

Soziale Absicherung

15. Armut aktiv bekämpfen

In Österreich ist eine Million Menschen armutsgefährdet, die Hälfte davon ist manifest arm. Unerlässlich ist daher eine Zurücknahme des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes. Vorrangiges Ziel einer Sozialhilfe muss die Bekämpfung und Vermeidung von Armut und sozialer Ausgrenzung sein. Auf die Leistungen aus der Sozialhilfe muss ein Rechtsanspruch bestehen. Familienbezogene Sozialleistungen sind besonders in Hinblick auf die Chancen der Kinder zentral, denn sie reduzieren das Risiko von Armutsgefährdung nachhaltig.

Eine der zentralen Aufgaben des Sozialstaats ist es, bedürftige Menschen dabei zu unterstützen, den (Wieder-)Einstieg zu schaffen – in eine Beschäftigung, von der man leben kann. Notwendig ist, dass die Anzahl der „working poor“, also Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne ausreichendem Einkommen, reduziert wird. Die Beschränkung der Sozialhilfe auf Leistungen der Grundversorgung für subsidiär Schutzberechtigte muss wieder aufgehoben werden.

16. Psychosoziale Gesundheit erhöhen

Psychisch erkrankte Menschen sind häufiger armutsgefährdet und laufen Gefahr, langfristig in die Armut abzurutschen und ihre Wohnung zu verlieren. Folgen von psychosozialen Problemen zeigen sich in sozialen Kosten aufgrund von Kriminalität, Schulabbruch, Alkohol- und Drogenkonsum, Depression und Suizid, aber auch in wirtschaftlichen Einbußen aufgrund mangelnder beruflicher Produktivität und Kreativität.

Die neue Regierung ist gefordert, „psychische Erkrankungen“ zu entstigmatisieren und entsprechende Angebote zu schaffen, um Menschen mit psychischen Erkrankungen und deren Angehörige bedarfsgerecht zu unterstützen, damit sie in der Gesellschaft integriert bleiben bzw. in sie integriert werden.

Flüchtlingshilfe

17. Integration und Teilhabe ab dem ersten Tag ermöglichen

Um eine gelungene Integration ab dem ersten Tag zu erreichen, werden ausreichende Ressourcen für ein differenziertes Bildungs- und Ausbildungsangebot ebenso wie integrativen Schulunterricht, einen Zugang zum Arbeitsmarkt schon während des Asylverfahrens, Arbeitsmarktförderung sowie qualifizierte Integrationsberatung benötigt.

Derzeit finden nur rund 50 Prozent der Geflüchteten Arbeit, die meisten davon als Hilfsarbeiterinnen und -arbeiter. Diese Situation muss im Sinne der Prävention von Armut und Segregation verändert werden. Daneben müssen für Menschen mit höherer Qualifikation (z.B. Fachkräfte, tertiäre Ausbildung) besondere Programme geschaffen werden, um sie gezielt in Arbeit zu bringen und als Vorbilder für ihre Landsleute in Wien zu promoten.

Es braucht Teilhabe statt Zwang und Ausgrenzung, dazu müssen rechtliche Verschärfungen wieder zurückgenommen werden. Die Expertise von Einrichtungen der Flüchtlingshilfe muss wieder Berücksichtigung finden. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen muss verbessert werden. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sollte gleich ab Ankunft gesetzliche Vertretung im Asylverfahren erhalten sowie sofort Obsorge-Berechtigte und von Anfang an dem Kindeswohl entsprechend unter Aufsicht der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht werden. Jugendarbeit braucht ausreichend Ressourcen, um Angebote zu schaffen, die Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Herkunft ansprechen und diese auf das Miteinander in einer pluralistischen Gesellschaft
vorbereiten.

18. Verstaatlichung der Beratung und Unterbringung von Geflüchteten verhindern

Mit der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBUGmbH) wird ein asyl- und fremdenrechtliches System etabliert, das nicht von unabhängigen Stellen kontrolliert werden kann. Jeglicher Einblick durch NGOs sind damit unterbunden, Fehlentscheidungen und andere Missstände können nicht mehr korrigiert werden. Der Rückbau dieser Agentur ist für einen wirksamen Rechtsschutz, der ein Grundrecht ist, unerlässlich.

19. Qualitätsvolle Asylverfahren

Die durchschnittliche Aufhebungsquote des Bundesverwaltungsgerichts von Bescheiden in Asylangelegenheiten lag im Jahr 2017 bei 42,4 Prozent. Aberkennung von internationalem Schutz bei Menschen aus Ländern, in denen sich die Sicherheitslage nicht verbessert hat, darf es nicht geben. Keine Rückführungen in unsichere Drittstaaten.

20. Diversität als Bereicherung erfahrbar machen

Das Zusammenleben in Vielfalt muss positiv gestaltet und als verhandel-, wandel- und gestaltbar begriffen werden, in dem sich im Sinne des sozialen Friedens alle bis zu einem gewissen Grad wiederfinden. Dafür braucht es auch Veränderung im gesellschaftlichen Diskurs: Diversität soll als Bereicherung akzeptiert werden und die Migrationsgesellschaft als positiv wahrgenommen werden.

Quelle: Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen