Bei der von der Bundesregierung geplanten Reform des Epidemiegesetzes fordert der Bundesverband Selbsthilfe Österreich (BVSHOE) ein Begutachtungsverfahren. Patientinnen- und Patientenorganisationen sowie deren Vertreterinnen und Vertreter müssen als wesentlicher Pfeiler des Gesundheitswesens auch in Krisenzeiten in gesundheitspolitische Entscheidungsfindungen eingebunden werden. Nur so können die Interessen der Betroffenen gewahrt werden.
Der Bundesverband Selbsthilfe Österreich ist der Dachverband der bundesweit tätigen themenbezogenen Selbsthilfe- und Patientenorganisationen. Gemeinsam mit dem Nationalen Netzwerk Selbsthilfe und Pro Rare Austria vertritt die Organisation rund 250.000 Patientinnen und Patienten in Österreich.
Das Epidemiegesetz ist, wie in der aktuellen Situation ersichtlich, ein essenzielles Werkzeug für den Schutz Österreichs. Aus diesem Grund ist es für die Gesundheit der Bevölkerung und den Schutz der Gesellschaft unerlässlich, ein Begutachtungsverfahren durchzuführen.
Das Epidemie- und die Covid-19 Gesetze stellen teilweise weitgehende Eingriffe in die Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte von Personen dar. In diesen sensiblen Bereichen dürfen keine Zweifel an der Sicherheit und Qualität der Gesetzgebung entstehen, auch wenn manche Bestimmungen zeitlich begrenzt sind. Auch in Krisenzeiten muss eine verfassungskonforme Gesetzgebung oberstes Ziel sein.
Die wesentliche Änderung eines Gesetzes bzw. dessen Kerninhalte ist aus demokratiepolitischer und gesellschaftspolitischer Sicht dann besonders bedenklich, wenn das Gesetz genau zu dem Zeitpunkt geändert wird, wenn dessen Wirksamkeit, insbesondere dessen Schutzfunktion gegenüber der Bevölkerung, zum Tragen kommen soll und muss. Der Schutz der Bevölkerung darf nicht aus wirtschaftlichen Interessen ausgehebelt werden.
Die kommunizierte Haltung der Bundesregierung „Komme was wolle“ und die wesentliche Änderung des Epidemiegesetzes in seinem Kern stehen daher in krassem Widerspruch und führen zu einem gravierenden Nachteil der Bevölkerung, weil damit das Kriterium der Gleichbehandlung unterschiedlicher gleichbetroffener Bevölkerungsgruppen außer Kraft gesetzt werden kann.
Folgende Punkte des Epidemiegesetzes sieht der BVSHOE als problematisch an:
1. Screening
Ein Screening auf SARS CoV-19 kann nur auf freiwilliger Basis erfolgen. Es sind alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zu treffen, dass die erhobenen Ergebnisse nicht unbefugten Stellen zur Kenntnis gelangen.
2. SARS CoV-19 Tracking/Tracing Apps
Tracking/Tracing Apps sind nur auf freiwilliger Basis anzuwenden. Im Besonderen erachtet der BVSHOE es als unverhältnismäßig, wenn die Anwendung solcher Apps mit anderen, teilweise Grundrechten, wie z. B. dem Datenschutz und der Versammlungsfreiheit gekoppelt werden, siehe auch Punkt 3. Versammlungsfreiheit und Teilnahme an Veranstaltungen. Auch die EU-Kommission kommt in ihrem aktuellen Datenschutzleitfaden für datenschutzkonforme SARS CoV-19 Tracking/Tracing Apps zum Schluss, dass die Nutzung derartiger Apps nur auf freiwilliger Basis akzeptabel sei und ohne nachteilige Folgen sowohl für die Anwender als auch der Nichtanwender sein müsse.
3. Versammlungsfreiheit und Teilnahme an Veranstaltungen
Der BVSHOE erachtet es als unverhältnismäßig, wenn die Anwendung solcher Apps mit anderen, teilweise Grundrechten, wie z. B. der Versammlungsfreiheit gekoppelt werden und somit die Freiwilligkeit in Frage gestellt wird. Des Weiteren spricht sich der BVSHOE dezidiert gegen Maßnahmen, wie eine Koppelung von Tracking/Tracing Apps und der Teilnahme an Veranstaltungen aus. Aus dem derzeit vorliegenden Gesetzestext ist nicht ersichtlich, wie die im Text angesprochenen Gruppen definiert und bekannt gemacht werden bzw. wer dafür zuständig ist. Dieser Punkt scheint in Verbindung mit den Punkten 1. Screening und 2. Tracking/Tracing Apps als verfassungs- und datenschutzbedenklich.
Generell ist die Zusammenfassung von Personen zu Gruppen als besonders sensibel zu handhaben. Es muss sichergestellt sein, dass diese Informationen nur zu dem betroffenen Zweck verwendet und nach dem Erreichen des genannten Zwecks wieder vernichtet werden. Eine Diskriminierung muss ausgeschlossen werden.
4. Covid-19-Register
Einem Covid-19-Register steht der BVSHOE grundsätzlich positiv gegenüber, wenn konkrete Rahmenbedingungen definiert werden. Hierzu gehört unserer Meinung die Implementierung in die vorhandene EMS-, IMS- und ELGA-Infrastruktur, die Beachtung der von der EU vorgegebenen Rahmenbedingungen des ERDRI und dem Zugang zu den anonymisierten Daten nicht nur für AGES und GÖG, sondern auch anderen wissenschaftlichen Einrichtungen. Als Begründung geht der BVSHOE von dem Umstand aus, dass die vorhandenen Datensätze für eine nationale wissenschaftliche Auswertung zu klein sein können.
5. Bescheide per Telefon
Bescheide für eine Quarantäne in Verdachtsfällen telefonisch zu erlassen lehnt der BVSHOE ab. Die damit verbundenen Probleme im Bereich des Datenschutzes und der Grundrechte, mit denen die PatientInnen bereits auf dem derzeitigen Zustellweg (per Post) konfrontiert ist und waren, sind zu schwerwiegend. Die Sicherstellung, dass keine Verwechslung vorliegt, der Anruf tatsächlich von der Behörde kommt, die Identität des Empfängers bekannt ist usw. ist nicht gewährleistet.
6. Nutzung von Ressourcen
Die vorhandenen Ressourcen von Ländern, Bund und Sozialversicherungen (SV) sollen besser genutzt werden. Dies betrifft im Besonderen die elektronische Infrastruktur, welche durch die schon bestehenden SV (eCard …), ELGA (eBefund, eMedikation …) Applikationen vorhanden ist. Zusätzlich ist besonders im Rahmen einer Pandemie der pseudonymisierte Datenaustausch mit anderen EU-Nationen bzw. -Institutionen zu beachten und entsprechende Anbindungen der nationalen IKT Systeme an die EU-Systeme (European Health Data Space) vorzusehen. Voraussetzung dafür sind gesetzeskonforme Auflagen sowie die zweck- und auflagengebundene zeitlich begrenzte Nutzung.
Patientinnen und Patienten dürfen nicht diskriminiert werden, der Datenschutz muss gewahrt sein.
Bei Patientinnen und Patienten im Arbeitsprozess muss deren Arbeitsplatz bzw. selbstständige Erwerbstätigkeit gesichert sein.
Bundesverband Selbsthilfe Österreich
Quelle: Bundesverband Selbsthilfe Österreich