Promotion ohne Limit
Die Initiative „PromoLi – Promotion ohne Limit“ unterstützt die MS-betroffene Anglistin Mag. Anna Klambauer auf dem Weg zu einer wissenschaftlichen Karriere.
Anna Klambauer erhielt 2003 im Alter von 22 Jahren die Diagnose Multiple Sklerose. Seit Oktober 2019 beschäftigt sie sich am Institut für Anglistik der Universität Graz im Rahmen ihrer Dissertation mit dem „Wahnsinn in der anglophonen Erzählliteratur“. Möglich wurde die Promotionsstelle durch die Initiative PromoLi – Promotion ohne Limit. Diese verfolgt das Ziel, begabten NachwuchswissenschafterInnen, die durch eine Behinderung oder chronische Erkrankung beeinträchtigt sind, Starthilfe zu geben.
Im aktuellen Pilotprojekt werden aus Mitteln des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz österreichweit neun DoktorandInnen-Stellen finanziert. Langfristig soll dies zu einer nachhaltigen Sensibilisierung führen, damit zukünftig mehr WissenschaftlerInnen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen Zugang zu einer wissenschaftlichen Karriere erhalten.
Quelle: Universität Graz
Interview mit Anna Klambauer
Hat die Erkrankung Ihr Studium und Ihre akademische Karriere beeinträchtigt?
Anfänglich wenig, da mein Krankheitsverlauf insgesamt glücklicherweise eher mild ist. Es war allerdings ein Schock, der doch einige Veränderungen nach sich zog. Vor allem die regelmäßige Therapie und den einhergehenden Nebenwirkungen (Grippesymptome) verlangten doch ein Mehr an Planung. Stressbewältigung ist vermutlich für alle MS-Erkrankten ein Thema: Ich musste lernen, dem Bedürfnis nach Ruhe auch nachzugeben um Erschöpfungszustände zu vermeiden, was aber insgesamt bedeutet, dass spontane Mehrbelastungen (z.B. Prüfungszeit, Deadlines, …) nicht immer einfach waren/sind. Seit meinem letzten Schub ist meine Mobilität eingeschränkt: Meine Beine ermüden sehr schnell und ich bin an schlechten Tagen sehr unkoordiniert, was den gesamten Alltag und damit auch den Beruf/das Studium beeinträchtigt. Es geht mir mittlerweile Gott sei Dank wieder besser, aber ich war für mehr als ein Jahr durch den Schub und die Medikamente (Antispastikum) nur sehr begrenzt einsatz- und konzentrationsfähig, was meinem Fortschritt absolut hinderlich war. All das ist natürlich manchmal auch eine starke psychische Belastung – besonders, wenn sich die Krankheit dazu entschließt, den Plänen einmal kräftig in die Suppe zu spucken!
Wie wurden Sie seitens der Uni Graz in Bezug auf Ihre MS-Erkrankung unterstützt?
Eine unserer Institutssekretärinnen hatte die Idee, dass mit einem Grad der Behinderung von 60 ein erhöhter Kündigungsschutz einhergeht. Ich war zu diesem Zeitpunkt dabei, meine Lehrverpflichtung (die mein Haupteinkommen war) zu verlieren, da ich durch die vieljährige Tätigkeit in eine höhere Besoldungsstufe umgestuft wurde. Ich habe durch die Bemühungen (unterstützt auch von meinem Dissertationsbetreuer) zwar keine Anstellung bekommen können, durch Zuschüsse aus dem entsprechenden Topf seitens des Dekanats konnte ich allerdings meiner Lehrtätigkeit weiter nachkommen. Jetzt hat mir natürlich das Projekt PromoLi für die nächsten vier Jahre Jobsicherheit gegeben. Abseits von persönlicher Anteilnahme und Verständnis bei z.B. Bitten um Verschiebung einer Abgabe-Deadline wurde ich ansonsten nicht von der Uni Graz in Bezug auf meine MS-Erkrankung unterstützt. Das Behindertenreferat und die Gleichbehandlungsstelle können meist auch nur helfen, wenn bereits etwas schiefgelaufen ist – das Problem aller Akademiker, ob gesund oder krank, ist aber erst einmal Fuß zu fassen.
Erhielten Sie auch Unterstützung durch Mitstudierende?
Kleine Freundschaftsdienste, z.B. Hilfe beim Tragen von Büchern, Türen aufhalten, etc. Vor dem Doktoratsstudium wussten nur sehr wenige, dass ich erkrankt war. Ich bin mir sicher, dass viele gerne bereit gewesen wären, auszuhelfen, doch ich war aber immer stur und wollte möglichst selbstständig sein/bleiben. Das ist immer noch so, obwohl vieles schwerer geworden ist.
Welche Steine wurden Ihnen in den Weg gelegt?
Abgesehen von den Steinen, für die die Krankheit und die generellen Schwierigkeiten einer akademischen Karriere verantwortlich sind, keine. Ich habe sehr viel Glück mit meinem persönlichen Umfeld, und vor allem meine Eltern haben mich sehr dabei unterstützt, mein Studium ohne Ängste abschließen zu können und standen mir auch in den unweigerlichen Unsicherheiten der akademischen Karriere immer mit Rat und Tat zur Seite.
Eine Karriere im Forschungsbereich erfordert meist auch die Bereitschaft, an ausländischen Universitäten tätig zu sein. Mit welchen Herausforderungen sind Sie diesbezüglich konfrontiert?
Das ist ein großer Unsicherheitsfaktor für mich. Erstens ist es wichtig, dass ich Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten und Medikamenten habe, was außerhalb des EU-Auslandes, z.B. in Amerika, nicht unbedingt der Fall ist. Das schränkt die ‚Auswahl‘ der Länder zusätzlich zu den ohnehin schon kargen Stellen ein. Zweitens mache ich mir auch große Sorgen, weil ich eben nicht so mobil bin wie andere. Ich habe hier eine Wohnung, die meinen Bedürfnissen entspricht, in einer Lage, die zentral ist und einen Arbeitsplatz, der gut für mich erreichbar ist. Ich plane im Voraus, wenn ich an einen Ort muss, den ich nicht kenne – und muss viel Extrazeit einplanen, falls etwas nicht wie geplant läuft. Ich habe vor Ort auch – und vor allem! – liebe Menschen, die mir, falls benötigt, sofort im Alltag (z.B. Einkaufen, Arztbesuche bei akutem Schub, Chauffeurdienste etc.) zur Seite stehen. Es gibt mir Sicherheit zu wissen, dass mir jemand aushelfen würde, sollte ich es nicht mehr alleine schaffen. Diese Sicherheit fällt im Ausland komplett weg und ich würde sie, ehrlich gesagt, gerne nach Möglichkeit behalten bzw. zumindest geographisch genug am ‚Hilfskommando‘ zu sein, wenn es brennt. Es haben natürlich alle Menschen Freundschaften, Familien und Beziehungen, die sie nicht zurücklassen wollen. Für mich bedeuten diese Beziehungen aber zusätzlich das Wissen, dass mir sofort jemand helfen kann, sollte es nötig sein.
Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Das ist eine schwierige Frage! Als ich plötzlich nicht mehr (vernünftig) gehen konnte und es wirklich schwierig wurde, die ‚einfachsten‘ Dinge zu tun, fiel mir auf, wie wenig die Welt für Menschen, die mit diesen Dingen kämpfen, ausgerichtet ist. Ein Beispiel sind etwa fehlende Sitzmöglichkeiten an öffentlichen Orten wie Flughäfen und obwohl die Universität insgesamt barrierefrei sein sollte, so gibt es doch in den Altbauten oft Probleme wie z.B. Treppen, die erst bewältigt werden müssen, bevor man den Lift erreicht (für mich wieder machbar, für RollstuhlfahrerInnen denke ich nicht). Das ist in der Regel keine böse Absicht, man denkt nur nicht an solche ‚Kleinigkeiten‘, wenn man selbst nicht betroffen ist. Das trifft besonders zu, wenn die Probleme unsichtbar sind (z.B. Fatigue-Symptomatik). Leider gibt es oft (verständliche) Berührungsängste, weil Menschen nicht wissen, wie sie am besten und sensibelsten mit solchen Fragen umgehen sollen. Ich denke, es wäre sehr gut, einen offeneren Dialog zu führen und auch vor allem die Menschen, die betroffen sind, in diesen einzubinden.
Projekte wie PromoLi leisten dazu einen großen Beitrag, weil dadurch einerseits gezeigt wird, dass auch Menschen mit Erkrankungen/Behinderungen ausgezeichnet zur akademischen Welt beitragen können und andererseits potentielle Sorgen über eventuelle Mehrkosten etc. zerstreut werden können, da das Projekt diese trägt (z.B. Gebärdensprachedolmetscher für Konferenzen.). Zum letzten Punkt möchte ich hinzufügen, dass es generell die Möglichkeit geben sollte, diese Mehrkosten erstattet zu bekommen (Globalbudget? Bundesbudgettopf?), damit die Last nicht auf dem Budget des Instituts liegt, welches in den meisten Fällen mehr als überschaubar ist.
Interview: Kerstin Huber-Eibl