Studie mit MS-Betroffenen in Graz, Innsbruck und Tirol

In einer aktuellen Studie wird die Wirksamkeit von drei unterschiedlichen Gang-Trainings mit Musik auf die Gehgeschwindigkeit, Gehstrecke, Fatigue und weitere Parameter bei Menschen mit Multipler Sklerose untersucht.

Frau mit Kopfhörern im Freien. Credit: Blaz Erzetic, Unsplash

Musik unterstützt das Training von Gangrhythmus, Gehgeschwindigkeit und Gehstrecke.

 

Die Universitätskliniken für Neurologie der Medizinischen Universitäten Innsbruck und Graz führen in Zusammenarbeit mit dem Reha Zentrum Münster in Tirol eine wissenschaftliche Studie durch.

„Effekte eines realen und imaginierten Gangtrainings mit Musik-Cueing auf die motorische Funktion und Hirnaktivität bei Menschen mit Multipler Sklerose: eine multizentrische Studie (RIGMUC)“

Rehabilitation ist für Menschen mit Multipler Sklerose (MS) sehr wichtig, um die Selbstständigkeit im täglichen Leben zu verbessern. Physiotherapie dient der Verbesserung und Erhaltung der Gehfähigkeit.

In den letzten Jahren wurden viele neue Physiotherapieansätze für Menschen mit MS entwickelt. Unter anderem zeigte sich der Einsatz von Musik als hilfreich, um den Gangrhythmus, die Gehgeschwindigkeit und die Gehstrecke zu trainieren. Außerdem wurde die Wirksamkeit von mentalem Training auf das Gehen und die Fatigue von MS-Betroffenen nachgewiesen. Dennoch sind einige Fragen offengeblieben, die das Forschungsteam nun klären möchte.

Zweck der Studie ist es, die Wirksamkeit von drei unterschiedlichen Gang-Trainings mit Musik zu untersuchen.

Wenn Sie über 18 Jahre alt sind, von Multipler Sklerose betroffen sind, mit/ohne Hilfsmittel gehen können, deutsch sprechen, geistig fit sind und keine gravierende Angst, Depression oder schwerwiegenden Erkrankungen haben, sind Sie eingeladen, an dieser Studie teilzunehmen.

Was wird von Ihnen erwartet?

Von den Ethikkommissionen der Medizinischen Universität Innsbruck und Graz wurde ein positives Votum für die Studie erteilt.

Sollten Sie Interesse an der Studie haben, wenden Sie sich an die Studienleiterin Dr. Barbara Seebacher, MSc, Tel. 0664 35 26 756 oder E-Mail barbara.seebacher@i-med.ac.at.

Mit Bewegung Lebensqualität verbessern

Dr. Barbara Seebacher, MSc erklärt, auf welche Weise Menschen mit Multipler Sklerose von körperlichem Training profitieren.

Dr. Barbara Seebacher, MSc, Foto: privat

Dr. Barbara Seebacher, MSc

Die Physiotherapeutin Dr. Barbara Seebacher, MSc beschäftigt sich seit vielen Jahren mit neurologischen Fragestellungen im Zusammenhang mit physiotherapeutischen Themen. Sie leitet die Abteilung für Rehabilitationsforschung im Reha Zentrum Münster und forscht an der Medizinischen Universität Innsbruck. Darüber hinaus unterrichtet Barbara Seebacher angehende Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten an der Fachhochschule Innsbruck und Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten im Masterstudium an der Donau-Universität Krems und ist in ihrer physiotherapeutischen Praxis tätig.

Was ist das Ziel von Rehabilitation bei Multipler Sklerose?

Dr. Barbara Seebacher, MSc: Das übergeordnete Ziel von Rehabilitationsmaßnahmen ist, dass man Menschen darin fördert, dass sie selbstständig ihr Leben leben können. Es geht darum, dass Patienten unabhängig sind und ihren Körper sowie alles, was dazugehört, so gut wie möglich einsetzen können. Besonders erstrebenswert ist die Teilhabe in der Familie, im täglichen Leben, im Beruf und in der Gesellschaft. Um dieses übergeordnete Ziel zu erreichen, wird eine Vielzahl von Zielen verfolgt: Das sind etwa die Verbesserung der Gehfähigkeit und die Verbesserung der Aktivitäten des täglichen Lebens durch das Training der Mobilität, des Gleichgewichts und der Arm- und Handfunktion. Bei vielen MS-Patient*innen ist die Prävention bzw. Behandlung von Schmerz im muskuloskelettalen Bereich wichtig.

Welche Methoden werden angewandt, um die Rehabilitationsziele bei Multipler Sklerose zu erreichen?

Seebacher: Von der wissenschaftlichen Evidenz her gibt es bereits sehr viele Daten. Früher wurde Menschen mit MS geraten, sich so weit wie möglich zu schonen. Hier hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Heute werden MS-Betroffene gefordert. Es wird empfohlen, an der Leistungsgrenze zu trainieren, wobei das Training nach den Gesichtspunkten des motorischen Lernens erfolgt. Man weiß mittlerweile, dass ein spezifisches Training mit einer hohen Intensität und vielen Wiederholungen vor allem dann erfolgreich ist, wenn auch eine hohe Motivation gewährleistet ist.
Um die Bewegungsgeschwindigkeit, Ausdauer und das Gleichgewicht sowie die Geschicklichkeit der Hände zu verbessern, gibt es unterschiedliche Ansätze. So ist etwa ein aufgabenorientiertes Training von großer Bedeutung. Dabei wird anhand sinnvoller Aufgaben mit kleinen Variationen mit den Betroffenen geübt, wobei die Aufgaben an das individuelle Können und die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden.
Ein weiterer Grundsatz der Rehabilitation ist die Steigerung des Könnens zu fördern, indem eine progressive Steigerung der Schwierigkeit eingebaut wird. Dabei werden die Aufgaben stets an die Ziele und Interessen der Patientinnen und Patienten angepasst. So verfolgt beispielsweise eine leidenschaftliche Köchin andere Ziele hinsichtlich ihrer Handgeschicklichkeit als jemand, der seine Geschicklichkeit vorwiegend im handwerklichen Bereich verbessern möchte.
Somit steht in der MS-Rehabilitation ein zielorientiertes Training im Vordergrund.

Welche Rolle spielt Physiotherapie im Rahmen der Rehabilitation?

Seebacher: Rehabilitation bei MS ist stets interdisziplinär und beinhaltet primär die Fachbereiche der Medizin, (Neuro-)Psychologie, Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie.

Sie untersuchen im Rahmen einer aktuellen Studie, auf welche Weise sich ein Gang-Training mit Unterstützung von Musik auf die Gehfähigkeit und Fatigue von Menschen mit Multipler Sklerose auswirkt. Was bezwecken Sie mit diesem Forschungsprojekt?

Seebacher: Dass spezifisches Gangtraining bei Menschen mit MS zur Verbesserung des Gehens führt, ist hinlänglich bekannt. Wir integrieren nun im Rahmen die Faktoren Musik und Rhythmus in die verschiedenen Varianten des Gangtrainings, also sowohl in das mentale als das reale Gangtraining sowie eine Kombination aus diesen Varianten. Dabei untersuchen wir, wie sich unterschiedliche Musikstile, Rhythmen und Musikgeschwindigkeiten und verschiedene Aufgaben des Gehens auf das Gehen auswirken. Zudem versuchen wir herauszufinden, inwiefern Musik per se die Motivation beim Gehen beeinflusst. Anhand der Ergebnisse können wir MS-Betroffene beim Gangtraining künftig besser unterstützen. Was wir bereits jetzt wissen, ist, dass Musik grundsätzlich die Fatigue (rasche Ermüdbarkeit, Anm.) herauszögert und so ein längeres Dranbleiben am Training ermöglicht.

Was möchten Sie von Multipler Sklerose betroffene Menschen mit auf den Weg geben?

Seebacher: Ich rate Menschen mit MS, dranzubleiben und sich von Rückschlägen wie Schüben und Verschlechterungen nicht unterkriegen zu lassen. Auch dann, wenn es im Moment schwerer geht. Ein Dranbleiben lohnt sich auch hinsichtlich der Kontinuität. Lebenslange Bewegung ist das Credo. Das gilt auch für schwerer beeinträchtigte MS-Betroffene, die sich durch ein gezieltes Training durchaus verbessern können. Ich habe in meiner Tätigkeit als Physiotherapeutin seit 1988 schon sehr viele Menschen mit MS begleitet und dabei oft gesehen, dass der EDSS-Grad (Behinderungseinstufung, Anm.) mit dem richtigen Training deutlich reduziert werden konnte.

Das Gespräch führte Kerstin Huber-Eibl.