Drittel der Menschen mit Behinderung fühlt sich bei Arbeit diskriminiert
Die Beratungserfahrungen der Arbeiterkammer und eine neue Umfrage zeigen deutlich, dass Menschen mit Behinderung in vielen Bereichen nach wie vor mit unzulässigen und unnötigen Barrieren konfrontiert sind.
Im Auftrag der Arbeiterkammer (AK) erhob das SORA Institut mit einer repräsentativen telefonischen Befragung das Erleben von Diskriminierung und Ungleichbehandlung in den Lebensbereichen Arbeit, Wohnen, Gesundheit und Bildung. Befragt wurden rund 2.300 Personen in Österreich zwischen 14 und 65 Jahren. Im Zuge der Gespräche wurden Diskriminierungserfahrungen hinsichtlich der Merkmale Geschlecht, Familienstand, Alter, ethnischer Herkunft, Religion, sexueller Orientierung, Beeinträchtigung und sozialer Stellung erfragt. Die Auswertung zeigt, dass Menschen mit Behinderung trotz des gesetzlich verankerten Gleichstellungsgebots benachteiligt und ausgeschlossen werden.
Körperliche Beeinträchtigung und Diskriminierung
69% der Befragten mit einer körperlichen Beeinträchtigung geben an, sich in den letzten drei Jahren diskriminiert gefühlt zu haben. Im Vergleich zu Personen ohne Erkrankung oder Beeinträchtigung sind das um 28 Prozentpunkte mehr. Besonders häufig berichten Personen mit einer sprachlichen Beeinträchtigung sowie Personen mit einer körperlichen Mobilitätsbeeinträchtigung von Diskriminierungserfahrungen – wesentlich häufiger als z. B. Menschen mit einer Seh- oder Hörbehinderung. Vor allem Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer berichten in
der Befragung immer wieder von Ungleich- und Schlechterbehandlungen.
Die Umfrage hat ergeben, dass sich Menschen mit Behinderung in den vergangenen drei Jahren in allen Lebensbereichen diskriminiert fühlten:
- Ein Drittel fühlt sich im Bereich Arbeit benachteiligt oder sogar ausgeschlossen.
- Ein Drittel fühlt sich im Bereich Gesundheit diskriminiert.
- Jede bzw. jeder Sechste fühlt ich beim Wohnen diskriminiert.
- Jede bzw. jeder Zehnte fühlt sich bei der Bildung diskriminiert.
„Ich bin Rollstuhlfahrer und hatte viele Jahre lang Schwierigkeiten, eine Wohnung im Erdgeschoss zu finden; leider habe ich keinen Anspruch auf eine Gemeindewohnung“, erzählt beispielsweise ein älterer Mann aus Wien. „Ich hatte nach einem Schlaganfall Probleme mit meinem Vermieter wegen Barrierefreiheit für den Rollstuhl“, berichtet ein anderer Mann. Generell betreffen die meisten Schilderungen entweder den Wohnungsbereich oder eine als unzulänglich empfundene medizinische Versorgung: „Ich bin an einer schweren Parkinson erkrankt und kann als Tischler nicht mehr richtig arbeiten; der Arzt hat mir Tabletten verschrieben, die aber die Kasse nicht bezahlt, weil ich noch nicht als behindert gelte“, schildert ein älterer Mann in der Befragung. Eine Frau berichtet: „Ich habe eine körperliche Behinderung, eine Reha-Möglichkeit wurde von der GKK nicht gewährt; eine Selbsthilfegruppe hat mir dann ein Therapiezentrum empfohlen und dieses wird von der GKK jetzt bezahlt.“
Diskriminierungserfahrung nach körperlicher Beeinträchtigung
Auffällig ist auch der hohe Anteil an geschilderten Diskriminierungserfahrungen unter Personen mit einer psychischen Beeinträchtigung. Auch hier zeigen die Schilderungen vor allem Probleme bei der medizinischen Versorgung und Behandlung, etwa dass sich die Betroffenen mit ihren Anliegen nicht ernst genommen fühlten. Eine Frau mittleren Alters etwa erzählt beispielhaft: „Ich leide an einer psychischen Erkrankung, aber im Krankenhaus bekomme ich immer wieder zu hören, dass man nichts findet und ich das nur vortäusche – ich weiß, dass ich krank bin, und lasse mich nicht abwimmeln; das belastet mich sehr.“
Für Menschen mit Behinderung gibt es einen eigenen Tätigkeitsbericht der Behindertenanwaltschaft. Dieser zählte im Berichtszeitraum 2017 insgesamt 622 protokollierte Beratungsfälle von behinderten Menschen oder ihren Angehörigen. Allerdings gehen diese Zahlen mit einer hohen Dunkelziffer von nicht gemeldeten Diskriminierungserfahrungen einher.
Behindertengleichstellungspaket
Seit 2006 ist in Österreich das Behindertengleichstellungspaket in Kraft, seit 2008 gilt die UN-Behindertenrechtskonvention. Das Behinderteneinstellungsgesetz setzt das Gleichbehandlungsgebot für Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt um. Das Gleichbehandlungsgebot besagt damit, dass grundsätzlich niemand aufgrund von Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Weltanschauung, sexueller Orientierung oder Behinderung benachteiligt werden darf. Dieser umfassende Grundsatz der Gleichbehandlung gilt jedoch nur für Arbeitsverhältnisse und die Arbeitswelt.
„Die gesetzliche Gleichstellung wird großteils ignoriert, insbesondere das Recht auf gleichen Zugang zu Arbeit“, so Anderl. Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft sei ein gleichberechtigter Zugang zu Arbeit, wie er auch in den UN-Konvention festgeschrieben ist. AK-Präsidentin Renate Anderl erklärte in einer Aussendung, dass immerhin ein Fünftel aller Betriebe diesen Auftrag ernst nehme und der Beschäftigungspflicht gegenüber begünstigten behinderten Menschen nachkomme. Aber rund 80 Prozent der Unternehmen würden ihre Verpflichtung nicht zur Gänze erfüllen und Menschen mit Behinderung ausschließen. Offensichtlich sei die Ausgleichstaxe, die dafür zu zahlen sei, zu gering – sie müsse Anderl zufolge spürbar höher werden. Mit den Mitteln könnten Betriebe unterstützt werden, die auf den wertvollen Beitrag von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Behinderung nicht verzichten wollen.
Quelle: Arbeiterkammer Wien
https://www.oemsg.at/2019/07/mehr-arbeitslose-mit-gesundheitlichen-einschraenkungen/
https://www.oemsg.at/2019/06/menschen-mit-behinderungen-arbeit-fuer-alle-deklaration-von-wien/