Information zu Multipler Sklerose

Ein Cochrane-Review untersuchte die Studienlage hinsichtlich der Frage, ob Menschen mit Multipler Sklerose (MS) ausreichend über ihre Erkrankung informiert sind.

weißes Informationsschild, Credit: Waldemar Brandt

Menschen mit Multipler Sklerose (MS) sind in allen Phasen der Erkrankung mit Unsicherheit konfrontiert. Die Bedeutung einer Diagnose für den künftigen Krankheitsverlauf bleibt beispielsweise unklar, da bis zu einem Drittel der Menschen ein gutartiger Krankheitsverlauf mit geringem oder gar keinem Fortschreiten der Behinderung vorliegt. Unsicherheit besteht auch in Bezug auf die Wirkungen und Nebenwirkungen medikamentöser und nichtmedikamentöser Therapien.

Von Multipler Sklerose betroffene Menschen haben das Recht und den Wunsch, genaue, aktuelle und relevante Informationen zu erhalten, um fundierte Entscheidungen zu allen relevanten krankheitsrelevanten Entscheidungen sowie zu persönlichen Entscheidungen zur Lebensplanung treffen zu können. Voraussetzung dafür ist ausgewogene Information.

Hintergrund

Multiple Sklerose (MS) ist eine entzündliche und degenerative Erkrankung des Zentralnervensystems, die zur Schädigung von Myelin und Axonen führt. Sie beginnt meist im frühen Erwachsenenalter, typischerweise im dritten Jahrzehnt (Reich 2018). Die Prävalenzraten variieren zwischen den geografischen Gebieten, wobei die höchsten Raten für Nordeuropa, Nordamerika und Australien bei 120 bis 180 pro 100.000 Personen liegen (Multiple Sclerosis International Federation 2013). Bei den meisten Menschen ist der frühe Krankheitsverlauf durch eine Entzündung gekennzeichnet, die zu Rückfällen führt, also zu Episoden einer neurologischen Funktionsstörung, die sich normalerweise teilweise oder vollständig zurückbilden.

Rückfälle können zu einer Reihe klinischer Symptome führen, die von leichten sensorischen Störungen bis hin zu schweren Symptomen reichen. Mit der Zeit scheint Neurodegeneration jedoch wichtiger zu sein als Entzündung, was zu einem Fortschreiten der Behinderung führt.

Etwa 10% bis 15% der Menschen mit MS haben eine primär progressive Form. Da die Ursache und die Mechanismen der Krankheit größtenteils ungeklärt sind (Compston 2008), bleibt die Unsicherheit ein konstantes Merkmal der Krankheit (Heesen 2011; NCC-CC 2004). Die einzelnen Krankheitsverläufe und -prognosen sind unterschiedlich und schwer vorhersehbar. Etwa ein Drittel der Betroffenen erlebt einen „harmlosen“ Verlauf (Degenhardt 2009; Ramsaransing 2006).

Prognostische Informationen sind ein komplexes Thema, und der Informationsbedarf von Menschen mit MS wird in dieser Hinsicht selten gedeckt (Dennison 2016; Dennison 2018). Eine zunehmende Anzahl von so genannten verlaufsmodifizierenden Therapien (Disease-Modifying Drugs , kurz DMDs) wurde für klinisch isoliertes Syndrom, rezidivierende, sekundär progressive und kürzlich auch für primär progressive MS zugelassen, um die Rezidivrate und das langsame Fortschreiten der Krankheit zu reduzieren (Montalban 2018; Tramacere 2015). Bisher sind Interventionen jedoch nur teilweise wirksam und die langfristigen Auswirkungen sind unklar, Darüber hinaus sind verlaufsmodifizierenden Therapien teuer und haben nachteilige Auswirkungen auf die Therapietreue. Die Wirksamkeit von verlaufsmodifizierenden Therapien bei fortschreitenden Krankheitsverläufen ist weitgehend unbekannt. Angesichts der in letzter Zeit zugelassenen und künftig auftretenden verlaufsmodifizierenden Therapien und damit der rasch zunehmenden Komplexität der Behandlungsoptionen wird die Verfügbarkeit gut entwickelter, unvoreingenommener und aktueller Informationen zunehmend erforderlich, um eine fundierte Behandlungsauswahl zu ermöglichen.

Abgesehen von der Entscheidung für eine verlaufsmodifizierende Therapie müssen Menschen mit rezidivierender MS Entscheidungen über Rezidivtherapien treffen, bei denen die Auswahlmöglichkeiten von hochdosierten intravenösen oder oralen Steroiden bis zu einer abwartenden Haltung reichen.

Trotz der begrenzten Spezifität diagnostischer Tests bei MS wird ein Ansatz der „harten und frühen“ Behandlung zunehmend von Expertinnen und Experten sowie der pharmazeutischen Akteure gefördert (Freedman 2009; Montalban 2018). Dies kann zu Überdiagnosen und Überbehandlungen führen (Schäffler 2011; Whiting 2006).

Diese vielfältigen Unsicherheiten stellen eine Herausforderung für den medizinischen Entscheidungsprozess zwischen Menschen mit MS und ihren Gesundheitsdienstleistern dar. 2004 wurde in Europa gezeigt, dass die meisten MS-Betroffenen eine autonome Rolle bei der Entscheidungsfindung einnehmen (Heesen 2004). Dies wurde in den USA von Cofield 2017 bestätigt. Insbesondere, obwohl kulturelle Unterschiede bei den Rollenpräferenzen festgestellt wurden (Giordano 2008) gilt die Notwendigkeit der Information auch für Menschen mit MS, die eine passive Entscheidungsrolle bevorzugen. Dies steht im Gegensatz zu den geringen Kenntnissen über Krankheiten bei Menschen mit MS. In mehreren Studien wurden Kommunikations- und Informationsdefizite bei der Versorgung von Menschen mit MS sowie Unterschiede zwischen Betroffenen und Ärztinnen bzw. Ärzten in Bezug auf die Wahrnehmung der Schwere der Erkrankung beschrieben.

Die Leitlinien für das Multiple-Sklerose-Management haben daher die Notwendigkeit einer ausgewogenen Information und Beteiligung der Betroffenen an der Entscheidungsfindung bei MS anerkannt (Montalban 2018; NCC-CC 2004). 2007 veröffentlichte die Europäische Union einen „Verhaltenskodex“ zu den Rechten von Menschen mit MS (EMSP 2007), in dem die Bereitstellung klarer und präziser Informationen von hoher Qualität ab der Diagnose gefordert wird, um Menschen mit MS die Möglichkeit zu geben, so weit wie möglich selbstbestimmt zu handeln.

Eine Reihe von Studien befasste sich mit den Entscheidungskompetenzen von Menschen mit MS, von denen einige diese Kompetenzen aufgrund von kognitiven Beeinträchtigungen in Frage stellen (Farez 2014; Neuhaus 2018). Eine kürzlich durchgeführte systematische Überprüfung des Risikoverständnisses von Menschen mit MS ergab eine Unterschätzung der Risiken und eine Überschätzung der Behandlungseffekte sowie anscheinend unzureichende Methoden zur Bereitstellung von Informationen über Risiken und Nutzen von DMD (Reen 2017a).

Neuere randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) zur Übermittlung von Risikoinformationen sind jedoch ermutigend (Kasper 2017; Rahn 2016). Darüber hinaus zeigte eine deutsche Studie, dass die Rechenkompetenzen von Menschen mit MS einer gesunden Bevölkerung (und einem insgesamt niedrigen Niveau) ähnlich sind (Gaissmaier 2018). Schließlich sind keine Daten zu den Informationsbedürfnissen von Vertretern von MS-Betroffenen mit schweren kognitiven Beeinträchtigungen oder Demenz verfügbar.

Ergebnisse

Um die Frage nach dem Informationsstand von MS-Betroffenen zu beantworten, hat das Cochrane-Team im November 2017 nach relevanten Studien in der medizinischen Literatur gesucht und konnte 11 Studien mit insgesamt 1.387 Teilnehmenden identifizieren.

Sascha Köpke, Alessandra Solari, Anne Rahn, Fary Khan, Christoph Heesen und Andrea Giordano: Information provision for people with multiple sclerosis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2018, Issue 10. Art. No.: CD008757. DOI: 10.1002/14651858.CD008757.pub3.