Bereichssprecherinnen für Menschen mit Behinderungen
Fragen an die Behindertensprecherinnen
Im Nationalrat fungieren Kira Grünberg, Heike Grebien, Dagmar Belakowitsch, Fiona Fiedler und Verena Nussbaum als Bereichssprecherinnen für Menschen mit Behinderungen.
Die Österreichische MS-Gesellschaft hat am 7. Februar alle fünf Politikerinnen gebeten, folgende Fragen zu beantworten:
- Was haben Sie sich als Behindertensprecherin für die aktuelle Legislaturperiode vorgenommen?
- Was ist Ihr vorrangigstes Ziel in Bezug auf Menschen mit Behinderungen?
- Chronisch kranke Menschen zählen auf Ihre Unterstützung. Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
- Wie werden Sie sich für chronisch Kranke konkret einsetzen?
Antwort von Mag. Verena Nussbaum (SPÖ) vom 8. Februar 2020
geboren 1970 in Graz, Steiermark
Beruf: Juristin
mehr über Mag. Verena Nussbaum unter www.spoe.at
Was haben Sie sich als Behindertensprecherin für die aktuelle Legislaturperiode vorgenommen?
Zunächst ist es mir besonders wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Behindertenpolitik ein Bereich ist, der uns alle etwas angeht und der auch bei jeder politischen Entscheidung mitgedacht werden muss. Es geht nicht nur um das Recht auf tatsächliche Inklusion der Menschen mit Behinderungen in unser alltägliches Leben, auch die Gesellschaft kann von gelebter Diversität lernen und dadurch gestärkt werden. Menschen mit Behinderungen sollen ein selbstbestimmtes Leben führen können, in dem nur sie selbst entscheiden, wie sie es leben wollen. Es gibt in Österreich derzeit noch sehr viele Baustellen in diesem Bereich. Seit Beginn der Gesetzgebungsperiode treffe ich mich mit den unterschiedlichsten Interessensverbänden im Bereich der Menschen mit Behinderungen, um die Perspektive der Betroffenen und Angehörigen in meine parlamentarische Arbeit bestmöglich einfließen zu lassen.
Was ist Ihr vorrangigstes Ziel in Bezug auf Menschen mit Behinderungen?
Wie bereits oben erläutert, ist es für mich derzeit vorrangig die Behindertenpolitik in alle Bereiche des Lebens mitzutragen, um den Grundstein für eine inklusive Gesellschaft legen zu können. Akuten Handlungsbedarf sehe ich vor allem im Bereich der Persönlichen Assistenz, da die Bundesländer diesen Bereich sehr unterschiedlich regeln und damit oft eine große Unsicherheit bei den Betroffenen vorherrscht. Als Hauptaufgabe sehe ich aber die Verankerung einer fairen Bezahlung für Menschen in Beschäftigungswerkstätten, die ja derzeit nur Taschengeld erhalten. Diese Menschen sollen außerdem einen gesetzlichen Anspruch auf eine eigene sozialversicherungsrechtliche Absicherung erhalten, um nicht in die Abhängigkeit ihrer Familien gedrängt zu werden.
Chronisch kranke Menschen zählen auf Ihre Unterstützung. Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Den größten Handlungsbedarf sehe ich in der Abhängigkeit der Betroffenen von ihren Familien. Es muss allen Menschen ein eigenständiges Leben ermöglicht werden. Für mich wäre daher auch hier die Vereinheitlichung der Regelungen für die persönliche Assistenz ein wichtiger Ansatz.
Antwort von Heike Grebien, BA (Grüne) vom 11. Februar 2020
geboren 1987 in Wagna, Steiermark
Beruf: Tourismuskauffrau und Pädagogin
mehr über Heike Grebien, MA unter https://gruene.at
Was haben Sie sich als Behindertensprecherin für die aktuelle Legislaturperiode vorgenommen?
Wir Grüne haben uns vehement dafür eingesetzt, dass in den Koalitionsverhandlungen Menschen mit Behinderungen in allen Teilbereichen miteinzubeziehen sind. Wir forcieren die Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Behinderung, mit dem die Rechte aus der UN-Behindertenrechtskonvention implementiert werden sollen gemeinsam mit allen Minister*innen, den Ländern, Gemeinden und unter starker Einbeziehung der Stakeholder.
Eines meiner persönlichen Anliegen ist die Bekämpfung von Gewalt an Menschen mit Behinderungen. Ein Thema wo es dringend notwendig ist, das Schweigen aufzubrechen, weshalb ich das auch gleich in meiner ersten Rede im Nationalrat angesprochen habe. Mehr als 8 von 10 Personen haben Erfahrungen mit psychischer Gewalt gemacht. 4 von 10 Personen waren von schweren Formen körperlicher Gewalt betroffen. Frauen mit Behinderungen sind einem noch viel größeren Gewaltrisiko ausgesetzt, als Frauen ohne Behinderung. Gehörlose und blinde Frauen, Frauen mit Lernschwierigkeiten und Migrantinnen mit Behinderungen sind besonders gefährdet.
Wir Grüne sind schon lange dran an diesem Thema und kämpfen für einen barrierefreien Zugang zu Unterstützungsangeboten. Ich werde mich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass dieses Thema im öffentlichen Fokus bleibt und wir gemeinsam Lösungsansätze erarbeiten. Wichtig ist es hier auch bereits vorhandenes Zahlenmaterial wie z.B. die Studie des Sozialministeriums zur Prävention von Gewalt an Menschen mit Behinderungen stärker öffentlich zu thematisieren.
Was ist Ihr vorrangigstes Ziel in Bezug auf Menschen mit Behinderungen?
Es gibt einen überfraktionellen Konsens, dass das leidige Thema „Lohn statt Taschengeld“ endlich der Vergangenheit angehören muss. Auch Sozialminister Rudi Anschober ist dies ein persönliches Anliegen, daher stehen die Zeichen gut, dass hier Bewegung reinkommt. Zudem sehe ich die Einführung eines Inklusionsfonds als einen möglichen Ansatz, dass Menschen mit Behinderungen selbstständig und selbstbestimmt in unserer Gesellschaft leben können. Die Prüfung eines solchen Inklusionsfonds findet sich auch im Regierungsprogramm wieder.
Chronisch kranke Menschen zählen auf Ihre Unterstützung. Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Ein wichtiger Bereich wo es dringenden Verbesserungsbedarf gibt, ist die Persönliche Assistenz. Hier bedarf es einheitlicher, bundesweiter Rahmenbedingungen, damit diese nicht mehr von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich definiert sind. Für ein möglichst selbstbestimmtes Leben darf es keine Rolle spielen, ob man im Burgenland oder in Vorarlberg lebt.
Darüber hinaus sehe ich Verbesserungsbedarf im Bereich der Pflege, hier wird einiges in der von Minister Anschober angekündigten Pflegereform passieren. Derzeit gibt es diesbezüglich eine Dialogtour durch ganz Österreich, im November soll das Paket vorliegen. Ebenso braucht es einen Ausbau der psychotherapeutischen kostenfreien Therapieplätze.
Antwort von Fiona Fiedler, BEd (NEOS) vom 18. Februar 2020
geboren 1976 in Klagenfurt, Kärnten
Beruf: Volksschullehrerin
mehr über Fiona Fiedler, BEd unter https://parlament.neos.eu
Was haben Sie sich als Behindertensprecherin für die aktuelle Legislaturperiode vorgenommen?
In der aktuellen Legislaturperiode werde ich mein Augenmerk auf alle Organisationen und Vereine legen, viele Gespräche führen und herausfinden, was notwendig ist, um Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben führen zu lassen. Als Mensch ohne Behinderung hat man oft keine Ahnung, wie Menschen mit Behinderung die Welt erleben und wo sie an ihre Grenzen stoßen. Hier möchte ich den Finger drauf legen und auf die Missstände aufmerksam machen. Es benötigt mehr Miteinander und Zusammenhalt untereinander.
Was ist Ihr vorrangigstes Ziel in Bezug auf Menschen mit Behinderungen?
Mein Ziel ist, dass so viele Barrieren wie nur möglich abgebaut werden und wir schlussendlich unsere Gesellschaft so sensibilisieren, dass Inklusion ein Begriff wird, der nicht mehr in aller Munde sein muss, sondern gelebt wird.
Chronisch kranke Menschen zählen auf Ihre Unterstützung. Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Bei der Versorgung chronisch kranker Menschen schneidet Österreich im internationalen Vergleich sehr schlecht ab. Wir sehen daher enormen Verbesserungsbedarf.
Wie werden Sie sich für chronisch Kranke konkret einsetzen?
Wir bringen dazu laufend parlamentarische Anträge und Anfragen ein. Unser aktuelles Schwerpunkt-Thema ist derzeit die größte Chroniker-Gruppe, die knapp 600.000 Diabetiker. Von unserer parlamentarischen Initiative erwarten wir uns zudem positive Effekte in der Versorgung für sämtliche chronisch Kranken.
Antwort von Kira Grünberg (ÖVP) vom 25. Februar 2020
geboren 1993 in Innsbruck, Tirol
Beruf: Revidentin, BMOEDS
mehr über Kira Grünberg unter www.kiragruenberg.com
Was haben Sie sich als Behindertensprecherin für die aktuelle Legislaturperiode vorgenommen?
Diese Vorhaben sind im aktuellen Regierungsprogramm 2020-2024 gut abgebildet. Ich hatte die Ehre, für den Bereich Behinderung mit am Verhandlungstisch zu sitzen. Aus meiner persönlichen Biographie heraus liegt mir der Sport nach wie vor sehr am Herzen und ich bin der Ansicht, dass Sport ein sehr gutes Vehikel für Inklusion sein kann. Ebenfalls Teil meines heutigen Lebens ist Persönliche Assistenz, die mir meine politische Tätigkeit und vieles mehr erst ermöglicht. Aus persönlicher Erfahrung kenne und befürworte ich das Konzept der Persönlichen Assistenz und ich teile auch die Ansicht der meisten Betroffenen, dass wir hier ein bundesweit einheitlicheres System schaffen müssen. Der Zufall des Geburts- bzw. Wohnortbundeslandes darf keine Rolle spielen, das tut er momentan aber sehr wohl. Über all dem steht ganz grundsätzlich das Ziel der selbstbestimmten und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Bereichen des Lebens, die durch vielerlei Einzelmaßnahmen zu gewährleisten ist. Eine wesentliche Voraussetzung für die selbstbewusste und selbstbestimmte Lebensführung ist eine berufliche Tätigkeit und damit ein eigener Verdienst. Die Arbeitslosigkeit unter Menschen mit Behinderung steigt, selbst wenn sie gesamthaft sinkt, was ein alarmierendes Zeichen ist. Insofern möchte ich mein Augenmerk mitunter auf Maßnahmen richten, die die Inklusion am 1. Arbeitsmarkt fördern. Auch ist mir ein besonderes Anliegen, das Alltagsleben von Menschen mit Behinderung zu entlasten – Stichwort One-Stop-Shop, um beispielsweise Behördenwege zu vereinfachen beziehungsweise die Anzahl der erforderlichen Wege zu minimieren, Selbiges gilt für beratende Anlaufstellen oder Fördertöpfe und Unterstützungsleistungen.
Was ist Ihr vorrangigstes Ziel in Bezug auf Menschen mit Behinderungen?
Wenn ich mich auf ein einziges Ziel festlegen muss, so nenne ich das Ziel der selbstbestimmten und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Bereichen des Lebens, denn das ist allumfassend. Die Persönliche Assistenz ist mir seit Anbeginn meiner politischen Tätigkeit ein großes Anliegen, da es Voraussetzung für vieles weitere ist. Einen Arbeitsplatz zu haben, reicht nicht aus, ich brauche auch jemanden, der mich in der Früh vom Bett in den Rollstuhl transferiert, um es an meinem Beispiel zu beschreiben.
Chronisch kranke Menschen zählen auf Ihre Unterstützung. Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Wenn von Behinderung die Rede ist, stellen sich die meisten einen Rollstuhl vor, also eine sichtbare Behinderung. Unsichtbare Formen von Behinderung, wozu ich chronische Krankheiten zähle, haben es eben aufgrund ihrer Unsichtbarkeit oftmals schwieriger, ins Bewusstsein zu gelangen und die nötige Aufmerksamkeit zu erfahren. Damit ist bereits einer der Aspekte für Handlungsbedarf benannt. Ganz generell arbeiten wir an einer flächendeckenden und wohnortnahen Gesundheitsversorgung, um eben zum Beispiel Menschen mit chronischen Krankheiten bestmöglich behandeln und unterstützen zu können, sodass die Krankheit gut in den Griff zu bekommen ist und damit sowohl Lebensqualität als auch Lebenserwartung eine Steigerung erfahren (vgl. Regierungsprogramm 2020-2024: Stärkung der integrierten Versorgung bei chronischen Krankheiten – Ausbau von Disease-Management-Programmen/DMP).
Wie werden Sie sich für chronisch Kranke konkret einsetzen?
Die oben erwähnten bzw. im Regierungsprogramm genannten Maßnahmen gilt es nun umzusetzen. Viele davon beziehen sich direkt oder indirekt auch auf Menschen mit chronischen Krankheiten. Ich kenne (m)ein Leben im Rollstuhl inzwischen ganz gut, habe aber nur eine Vorstellung von einem Leben mit chronischer Erkrankung. Insofern ist es mir sehr wichtig, mit Betroffenen ins Gespräch zu kommen und täglich dazuzulernen. In diesem Sinne freue ich mich auf ein persönliches Kennenlernen!
Dr. Dagmar Belakowitsch (FPÖ)
Die Anfrage der ÖMSG an Dr. Dagmar Belakowitsch blieb unbeantwortet.
geboren 1968 in Wien
Beruf: Medizinerin
mehr über Dr. Dagmar Belakowitsch unter www.fpoe-parlamentsklub.at
Kerstin Huber-Eibl © Parlamentsdirektion / PHOTO SIMONIS / Thomas Jantzen, Collage: ÖMSG