Brain Health. Keine Zeit verlieren bei Multipler Sklerose
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Erkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem Gewebe im Gehirn und Rückenmark schädigt. Sie ist in vielen Industrieländern die Hauptursache für Behinderungen ohne Unfalleinwirkung bei jungen Erwachsenen und Menschen mittleren Alters. Sie betrifft weltweit 2,3 Millionen Menschen. Es gibt keine Heilung, jedoch können Therapien den Verlauf der Erkrankung dahingehend beeinflussen, dass die Krankheitsaktivität reduziert und das Fortschreiten der Behinderung verlangsamt wird.
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Bei der Diagnostik und Therapie der Multiplen Sklerose zeigt sich laut Prof. Tjalf Ziemssen vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden zunehmend die Notwendigkeit, frühzeitig und möglichst effektiv die sogenannte neurologische Reserve oder im englischsprachigen Bereich die „Brain Health“ zu erhalten. Jede Zeitverzögerung bezüglich der Diagnosestellung und der optimalen Therapie erhöht die Gefahr für die Betroffenen, dass es zu einem eigentlich unnötigen Verlust an physischen und kognitiven Funktionen kommt.
Die von zahlreichen Fachgesellschaften unterstützte, internationale Brain Health Initiative um Prof. Gavin Giovannoni hat es sich zur Aufgabe gemacht, Empfehlungen zur Diagnose, Therapiestrategie einschließlich Therapiemonitoring sowie zur Generierung von Real World Daten in guter Qualität aufzustellen.
Insgesamt stehen dabei drei wesentliche Empfehlungen im Vordergrund, welche die neurologische Reserve bzw. Brain Health erhalten sollen.
- Es sollen Verzögerungen bei Diagnose und Therapiebeginn bzw. Optimierung vermieden werden.
- Die Krankheitsaktivität soll detailliert und engmaschig monitoriert werden, um ein sogenannte Treat to a Target-Therapiekonzept umzusetzen.
- Es soll eine robuste wissenschaftliche Evidenz aus Real World-Daten generiert werden, die zur Optimierung der Behandlung von individuellen MS-Betroffenen verwendet werden kann.
Eine Umsetzung dieser Empfehlung soll u. a. durch eine verbesserte Aufklärung von medizinischem Personal und Menschen mit MS erreicht werden, wobei die Betroffenen möglichst schnell von MS-erfahrenen Zentren behandelt werden sollen.
Darüber hinaus empfiehlt das Brain Health Steering Board, dass die aktuellen Diagnosekriterien mit entsprechenden differentialdiagnostischen Überlegungen
möglichst zum Einsatz kommen. Darüber hinaus erscheint es den Brain Health-Initiatorinnen und Initiatoren als sehr wichtig, ein gemeinsame Entscheidungsfindung durchzuführen, da es die Adhärenz (Therapietreue) der Menschen mit MS durch deren proaktive Einbindung verbessern kann. Zudem soll von diesen personen auch ein sogenannter Brain Healthy Lifestyle inden Alltag übernommen werden, da dies eine Verbesserung der kardiovaskulären Fitness, eine Beendigung des Rauchens sowie ein reduzierter Alkoholkonsum sowie eine Kontrolle von anderen Komorbiditäten, die negative Auswirkungen auf den MS-Verlauf haben können, mit einschließt.
Essentiell scheint für Ziemssen auch ein detailliertes Monitoring klinischer und subklinischer Parametern zu sein, die eine Identifikation einer optimalen bzw. nicht optimalen Behandlung der Betroffenen erlauben. Hier kommt dem MRT mit seinen unterschiedlichen Parametern eine wichtige Rolle zu. Neben Frühdiagnosestellung und Therapie sowie einem engmaschigen Monitoring mit daraus sich ergebender Therapieoptimierung beinhaltet ein wesentlicher Teil der Brain Health-Initiative die Vision, möglichst viele Daten aus der realen Therapie und Diagnosewelt zu sammeln, um aus diesen Big Data für die individuellen MS-Betroffenen ein optimiertes MS-Management ableiten zu können.
Viele der wissenschaftlichen Fragestellungen können nicht mehr mit Zulassungsstudien beantwortet werden, welche die Problematik in der klinischen Praxis nicht abbilden können. Daher ist laut Ziemssen eine Generierung entsprechender Langzeitdaten, wie es entsprechende Register in Deutschland schon tun (DMSG-Register, KKNMS-Register, REGIMS, NTD-Register, MSDS3D-Register) von hoher Bedeutung.
Empfehlungen: Übersicht
- Minimierung der Zeitspanne bis zu Diagnosestellung und Behandlungsbeginn, um das unumkehrbare Fortschreiten der Erkrankung möglichst frühzeitig einzudämmen.
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Festlegung von Behandlungs- und dauerhaften Betreuungszielen, um für jeden Menschen mit MS das bestmögliche Therapieergebnis zu erreichen.
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Wahl einer möglichst zuverlässigen Datenlage und Gewinnung weiterer Nachweise, um die Entscheidungsfindung bei Behandlungs- und Managementstrategien bei MS zu optimieren.
Schaffung eines Bewusstseins für die globale Krankheitslast der Multiplen Sklerose
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Bei Multipler Sklerose (MS) schädigt das körpereigene Immunsystem Gewebe in Gehirn, Rückenmark und Sehnerv, wodurch Körperbehinderungen und kognitive Beeinträchtigungen entstehen können.
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Die Multiple Sklerose tritt meist bei jungen Erwachsenen im Alter von 20-40 Jahren auf. Viele Betroffene klagen über eine starke Einschränkung der Lebensqualität sowie der Arbeits- und Lernfähigkeit durch akute Krankheitsschübe, fortschreitende Behinderungen, Fatigue und kognitive Beeinträchtigungen.
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Mit zunehmender Behinderung steigen persönliche und ökonomische Kosten sprunghaft an. Der Großteil dieser Kosten muss durch die Betroffenen selbst und durch ihre Angehörigen getragen werden, Häufig sind es Familienmitglieder, welche die Pflege zeitlebens selbst übernehmen.
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Die Krankheitsaktivität und das Fortschreiten der Behinderung kann durch eine geeignete, frühzeitig begonnene Behandlung stark reduziert werden, jedoch ist die MS zum jetzigen Zeitpunkt nicht heilbar.
Beschleunigte Überweisung und Diagnosestellung
- Je früher die MS diagnostiziert wird, desto früher kann mit der Behandlung begonnen werden.
- Im Idealfall wird bei Verdacht auf MS zur Diagnosestellung an eine gut ausgestattete, auf MS spezialisierte Neurologiepraxis mit einem erfahrenen Team weiterverwiesen. Solche Spezialistinnen und Spezialisten sind zur Diagnosestellung, Behandlung und Dauertherapie der MS bestens gerüstet.
- MS lässt sich gegenwärtig dank bildgebender Diagnostik mit dem Verfahren der Magnetresonanztomographie (MRT) und klinischer Untersuchungen früher diagnostizieren als je zuvor – 10 Mal schneller als noch in den 1980ern.
- Dennoch kommt es zwischen den ersten Symptomen und der Diagnosestellung teilweise zu großen Verzögerungen. Um diese zu minimieren, bedarf es einer größeren Bekanntheit der MS in der Allgemeinbevölkerung und bei Gesundheitsfachkräften, die für die Überweisung zuständig sind, sowie eines besseren Zugangs zu MS-Spezialisten und Diagnosegeräten.
verlaufsmodifizierende Therapien (DMT)
Frühe Intervention zur möglichst langen Gesunderhaltung des Gehirns
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Ziel der MS-Behandlung ist die Erhaltung des Hirngewebes und eine möglichst lebenslange Gesunderhaltung des Gehirns (Brain Health). Dies wird durch eine medikamentöse Reduktion der entzündlichen Krankheitsaktivität erreicht.
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Zahlreiche Studien stützen die Behandlungsstrategie der frühzeitigen Intervention mit einer verlaufsmodifizierenden Therapie. Diese sollte von einem Lebensstil begleitet sein, bei dem die Gesunderhaltung des Gehirns im Vordergrund steht.
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Jedoch kommt es bis zum Beginn der verlaufsmodifizierende Therapien (DMT) häufig zu Verzögerungen, auch durch Zulassungsprobleme, Verschreibungsrichtlinien und die Erstattungspolitik.
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Die Behandlungsmöglichkeiten werden stetig weiterentwickelt; es sind heute viele verlaufsmodifizierende Therapien (DMT) verfügbar. Nicht alle wirken bei allen Menschen mit MS gleich gut, auch haben sie unterschiedliche Nebenwirkungsprofile.
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Die Entscheidung über den Behandlungsbeginn sollte als eine gut informierte Entscheidung gefällt werden, die vom Patienten und vom Arzt gemeinsam getroffen wird. Alle passenden DMT sollten in Betracht gezogen werden. Gleichzeitig mit den Vorteilen und Risiken der jeweiligen verlaufsmodifizierenden Therapie (DMT) sollten Krankheitsverlauf, Werte, Bedürfnisse, Einschränkungen und der Lebensstil des Betroffenen in die Beurteilung einfließen.
Monitoring der Krankheitsaktivität und zielgerichtete Behandlung
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Durch das routinemäßig in vielen klinischen Bereichen durchgeführte Monitoring kann sichergestellt werden, dass die Krankheitsaktivität unter einem Zielwert bleibt.
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Bei MS sollten sämtliche Parameter, die auf zukünftige Schübe und ein Fortschreiten der Behinderung hinweisen, als Krankheitsaktivität beobachtet werden. Diese Definition der Krankheitsaktivität ist stets an die neuesten Forschungsergebnisse anzupassen.
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Ein regelmäßiges klinisches und radiologisches Monitoring der Krankheitsaktivität und die formale Aufzeichnung der so gewonnenen Daten sollte Bestandteil jeder MS-Therapie sein. Nur so ist es möglich, eine mangelhafte Kontrolle der Erkrankung zu erkennen und informierte Therapieentscheidungen zu treffen.
Schnelle Reaktion auf eine nachgewiesene Krankheitsaktivität
- Zeigt das Monitoring ein unzureichendes Behandlungsergebnis, muss schnell entschieden werden, ob ein Wechsel auf eine andere verlaufsmodifizierende Therapie sinnvoll ist.
- Der herkömmliche Ansatz bestand darin, bei einem unzureichenden Ergebnis die Dosis oder Injektionsfrequenz zu erhöhen oder zu einer anderen DMT mit dem gleichen Wirkmechanismus zu wechseln.
- Inzwischen sind verschiedene neuere verlaufsmodifizierende Therapien (DMT) verfügbar, die unterschiedliche Wirkmechanismen nutzen; einige darunter weisen eine Evidenzbasis für eine höhere Wirksamkeit als die etablierter verlaufsmodifizierender Therapien (DMT) auf.
- Viele Menschen mit MS würden laut einer wachsenden Evidenzbasis aus klinischen Studien und Belegen aus dem Klinikalltag von einem Wechsel zu einer der neueren verlaufsmodifizierenden Therapie (DMT) profitieren.
Quelle: Bericht „Brain Health. Keine Zeit verlieren bei Multipler Sklerose“