Mindestsicherung neu
Die „neue Sozialhilfe“ wird künftig die sogenannte „Mindestsicherung“ ablösen. Eine wesentliche Neuerung ist, dass der Bonus für Menschen mit Behinderungen von einer Kann- zu einer Muss-Bestimmung wird.
Nach einem geplanten öffentlichen Hearing im Parlament soll der Entwurf des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes nach den Plänen der Regierung Ende Mai im Nationalrat beschlossen werden. Die Länder haben bis Ende 2019 Zeit für ihre Ausführungsgesetze, mit 1. Jänner 2020 sollen das Grundsatzgesetz des Bundes und die neun Ausführungsgesetze der Länder in Kraft treten. Die genauen Ausführungsbestimmungen sowie konkrete Sanktionen bei Missbrauch oder Arbeitsunwilligkeit müssen die Länder selbst festlegen.
Nachdem der Erstentwurf des neuen Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes erhebliche Mängel aufgewiesen hatte, wurden die vom Österreichischen Behindertenrat und vielen weiteren Interessenvertretungen vorgebrachten Kritikpunkte im weiteren Gesetzesentwurf weitgehend berücksichtigt. Dennoch ist nicht alles eitle Wonne: So kritisieren die Diakonie und die Caritas die am 14. März 2019 im Ministerrat beschlossene „neue Sozialhilfe“, die künftig die sogenannte „Mindestsicherung“ ablösen wird.
Beschlussfassung zum neuen Sozialhilfe-Grundsatzgesetz im Ministerrat
Die monatliche Sozialhilfe wird in der Höhe des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes gewährt. Für das letzte Jahr beläuft sich die entsprechende Summe auf 863,00 Euro bzw. für das Jahr 2019 auf 885,47 Euro. Paare erhalten zweimal 70 Prozent des Richtsatzes, somit 1.208 Euro für das Jahr 2018 bzw. 1.239,66 Euro für das Jahr 2019.
Für Familien mit mehreren Kindern bedeutet die Neuregelung Einschnitte durch eine Staffelung pro Kind. So ist für das erste Kind eine Sozialhilfesatz von 25 Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes vorgesehen (216 Euro für 2018), für das zweite Kind 15 Prozent (130 Euro), ab dem dritten Kind gibt es fünf Prozent (43 Euro). Für Menschen mit Behinderungen ist ein Bonus von 18 Prozent (155 Euro) vorgesehen. Im Vergleich zu den bisherigen Plänen handelt es sich allerdings um eine Muss-Bestimmung für die Länder.
Für Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher bleibt es hingegen bei der Kann-Bestimmung. Ihnen können die Länder nach eigenem Ermessen Zuschläge von zwölf Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes (derzeit 103,5 Euro) bei einem Kind ausschütten, bei zwei Kindern 21 Prozent (181 Euro), bei drei Kindern 27 Prozent (233 Euro) und für jedes weitere Kind plus drei Prozent.
Im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen hat die Regierung noch einige „Präzisierungen“ vorgenommen. Leben mehrere Sozialhilfebezieher bzw. -bezieherinnen in einer Wohngemeinschaft, ist eine Deckelung von 175 Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes (derzeit 1.510,25 Euro) vorgesehen. Neben Kindern sind künftig auch Menschen mit Behinderungen von dieser Deckelung ausgenommen. Dauerhaft erwerbsunfähige Bezieher und Bezieherinnen sind von der Bestimmung ausgenommen.
Die Sozialhilfe wird für maximal zwölf Monate gewährt, anschließend ist ein neuer Antrag einzubringen. Bestehende bessere Regeln der Länder für Sonderbedarf (Pflege, Behinderung) werden nicht berührt. Die Länder können – wie auch schon bisher bekannt – einen Wohnzuschuss von 30 Prozent gewähren, um die unterschiedlich hohen Mietkosten in den Bundesländern zu berücksichtigen.
Die Möglichkeit der Länder, auf das Vermögen der Betroffenen zuzugreifen, bleibt aufrecht. Allerdings gibt es Ausnahmen: So soll beispielsweise ein Auto, das zur Fahrt in die Arbeit benötigt wird, vom Zugriff ausgenommen sein. Zudem wird ein „Schonvermögen“ von 600 Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes (knapp 5.200,00 Euro) definiert, auf das nicht zugegriffen werden kann. Gleichzeitig wird die „Schonfrist“ für den Zugriff auf das Eigenheim bzw. die pfandrechtliche Eintragung im Grundbuch von sechs Monaten auf drei Jahre erhöht.
6 von 10 Kritikpunkten des ÖBR behoben
Herbert Pichler, Präsident des Österreichischen Behindertenrates (ÖBR), zeigt sich über die umfassende Adaptierung des Gesetzesentwurfes für Menschen mit Behinderungen und die Berücksichtigung der ÖBR-Stellungnahme in vielen Aspekten erleichtert. So hätten die intensiven Gespräche mit dem Sozialministerium auf Basis der umfassenden ÖBR-Stellungnahme Wirkung gezeigt.
Einerseits wurde die KANN-Bestimmung über den Zuschuss für Menschen mit Behinderungen zu einer MUSS-Bestimmung für die Bundesländer, andererseits wurde den Bundesländern die Möglichkeit eingeräumt, für Menschen mit Behinderungen eigene Bedarfsgemeinschaften einzurichten. Der ÖBR hatte gefordert, dass Einrichtung von Bedarfsgemeinschaften für Menschen mit Behinderungen bundesweit vorgesehen wird.
Für gehörlose Menschen und jene mit schweren Kommunikationseinschränkungen entfällt nun der Nachweis der Sprachkompetenz. In seiner Aussendung weist der ÖBR darauf hin, dass Betroffene weiterhin ihre Eltern auf Unterhalt klagen müssen, soweit dies nicht aussichtslos oder unzumutbar ist. Hier zählt der ÖBR darauf, dass die Bundesländer ihren Spielraum im Rahmen der Ausführungsgesetzgebung nützen.
Reform sollte keine Verschlechterungen bringen
Auch die Caritas zeigt sich über die Berücksichtigung einzelner Aspekte erfreut. So konnten beispielsweise bei den Ansprüchen für Menschen mit Behinderung Nachbesserungen gegenüber dem Begutachtungsentwurf erreicht werden.
Dennoch zeigt sich Caritas-Präsident Michael Landau betroffen, da mit den beschlossenen Kürzungen – insbesondere bei Familien mit mehr als zwei Kindern – ein Anstieg der Kinder- und Familienarmut in Österreich in Kauf genommen werde.
Die Mindestsicherung sei für viele Menschen in Österreich die letzte finanzielle Absicherung, die ihnen der Sozialstaat biete. Diese Hilfe müsse das Mindeste sichern, unabhängig davon, wie sie benannt werde, stellt der Caritas-Präsident mit Blick auf die neue Bezeichnung „Sozialhilfe“ klar. Sorgen bereite ihm zudem, dass das Grundsatzgesetz keine Mindest-, sondern nur Maximalleistungen vorsieht, die von den Ländern beliebig unterschritten werden können. Menschen, die von Armut betroffen sind, würden Sicherheiten benötigen – und keine Fragezeichen. Hier sollte auch den Ländern mehr Spielraum eingeräumt werden, gute Lösungen beizubehalten. Dies gelte Landau zufolge ganz besonders bei der Unterstützung für Familien.
Der schmale Grat: working poor
Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich, äußert Bedenken, dass die im vorgelegten Sozialhilfeentwurf geplanten Regelungen Menschen in schwierigen Situationen schaden und deren Leben noch schwieriger machen werden. Durch die Deckelung der möglichen zusätzlichen Leistungen beim Wohnen und Kürzungen bei Kindern seien eine große Zahl an Familien, aber auch Eltern mit prekärer Arbeit negativ betroffen, erklärte Moser in einer Aussendung.
Zwischen einem niedrigen Einkommen und der Mindestsicherung für eine Familie mit beispielsweise drei Kindern liege manchmal nur der schmale Grat des Arbeitsplatzverlustes oder einer Krankheit, so Moser. „Das große verschwiegene Thema in der Mindestsicherung sind working poor. Und es verbessert sich durch Arbeit nicht immer automatisch die Lebenssituation, wenn es sich um prekäre, schlecht bezahlte oder krankmachende Jobs handelt. Da entstehen Drehtüreffekte von schlechtem Job zu schlechtem Job, dazwischen Mindestsicherung. Je weniger jemand verdient, desto größer ist die Gefahr, bei Jobverlust rasch von der Mindestsicherung unterstützt werden zu müssen.“
Quelle: ORF, Aussendungen Österreichischer Behindertenrat, Caritas Österreich, Diakonie Österreich