Weltweite Verbreitung der MS

Auf Initiative der internationalen MS-Organisation MSIF wurde 2013 eine weltweite epidemiologische Erhebung zur Häufigkeit der MS durchgeführt. 104 Länder nahmen an diesem Projekt teil, das Ergebnis wurde als MS-Atlas veröffentlicht.

Abbildung: „MS-Atlas“ 2013, Krankheitshäufigkeit weltweit

Abbildung: „MS-Atlas“ 2013, Krankheitshäufigkeit weltweit

Die Informationen sind nur eingeschränkt verwertbar, da in manchen Ländern keine qualitativ hochwertigen Studien durchgeführt wurden und zum Teil nur grobe Schätzungen vorlagen. Eine wesentliche Intention bestand in der Erfassung möglicherweise zugrunde liegender Ursachen der Erkrankung und in der Aufdeckung von Versorgungsdefiziten, um Entscheidungsträger/ Entscheidungsträgerinnen darauf hinzuweisen und Verbesserungen der Betreuung durchsetzen zu können. Auf Grundlage dieser Befragung konnte die weltweite Zahl von Menschen mit MS auf 2,3 Millionen geschätzt werden.

Entscheidend für die Krankheitsempfänglichkeit (Suszeptibilität) sind genetische und Umwelt-Faktoren. Wie auf dem „MS-Atlas“ erkennbar, bestehen regional sehr deutliche Unterschiede in der Häufigkeit der MS, wobei im Verteilungsmuster eine gewisse Abhängigkeit zur Entfernung vom Äquator erkennbar ist.

Sowohl in der Nord- als auch in der Südhälfte ist die MS-Prävalenz äquatornahe niedrig, mit der Entfernung vom Äquator nimmt die Häufigkeit zu. Eine hohe Sonneneinstrahlung sorgt für die Bildung von Vitamin D, das in das Immunsystem regulierend eingreifen kann.

In äquatorfernen Ländern kann häufig, insbesondere in den Wintermonaten, ein Vitamin-D-Mangel dokumentiert werden. Diese Regionen, in denen überwiegend Europäer/Europäerinnen bzw. Nachkommen von Europäern/Europäerinnen leben, weisen deutlich höhere Prävalenzraten auf. In anderen Territorien, in denen z. B. afrikanische oder asiatische Völker leben, wird MS seltener festgestellt. Bei manchen Volksgruppen, beispielsweise den Aborigines in Australien oder den Arktisbewohnern und -bewohnerinnen, ist bisher ein Vorkommen von MS extrem selten beobachtet worden. Am häufigsten treten die ersten MS-Symptome zwischen dem 20. Und 40. Lebensjahr auf und in bis zu 5 % der Fälle bereits im Kindes- und Jugendalter. Frauen sind zwei bis drei Mal häufiger betroffen als Männer und bei Erkrankungsbeginn im Durchschnitt jünger.

Migrationsstudien

Studien, die an einer Bevölkerungsgruppe durchgeführt wurden, die das Heimatland verlassen und sich in einem anderen Land angesiedelt hat, ermöglichen eine Beurteilung von Umwelt-Einflussfaktoren, wenn veränderte klimatische, soziale, kulturelle und gesundheitliche Bedingungen vorliegen. Erfolgt die Migration vor der Pubertät, also noch während des Reifungsprozesses des Immunsystems, entspricht das MS-Risiko dem Land der Zuwanderung mit anderen Umweltbedingungen. Personen, die nach dem 15. Lebensjahr auswandern, „behalten“ das Erkrankungsrisiko ihres Heimatlandes. Bei Einwanderern und Einwanderinnen der zweiten Generation kann hingegen eine höhere Inzidenzrate (neu diagnostizierte Erkrankungen pro 100.000 Einwohner und pro Jahr) beobachtet werden. Diese Erkenntnisse unterstutzen die Annahme, dass äußere  Einflussgrößen (westlicher Lebensstil, andere Hygienebedingungen, klimatische Verhältnisse, virale und bakterielle Infektionen, bisher nicht bekannte Faktoren) für das Auftreten der Erkrankung notwendig sind, wobei eine Erklärung der genauen Zusammenhänge derzeit nicht vorliegt.

Die geografische Verteilung der MS ist weltweit und auch innerhalb eines Landes ungleichmäßig ausgeprägt. Die Studiendaten aus zahlreichen Regionen und Ländern müssen mit Vorsicht interpretiert werden, da die Erhebungen aufgrund starker methodologischer Unterschiede nur schwer zu vergleichen sind.

Umweltfaktoren bei Multipler Sklerose

Die weltweit ungleiche geografische Verteilung der MS wird auf genetische und auf verschiedene Umweltfaktoren zurückgeführt.

Eine Reihe von Viren und Bakterien werden mit dem Auftreten, aber auch dem Verlauf der Erkrankung in Zusammenhang gebracht. Diesbezüglich existieren für das Epstein-Barr-Virus (EBV), den Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers (infektiose Mononukleose), die schlüssigsten Daten. Nur ein geringer Prozentsatz der infizierten Personen erkrankt mit klinischen Symptomen an Pfeifferschem Drüsenfieber, aber über 90 % der Erwachsenen entwickeln Antikörper und bleiben asymptomatisch (latente bzw. stumme Infektion). Menschen, die keine Infektion durchgemacht haben und deshalb keine Antikörper gegen dieses Virus produzieren (serologischer Test negativ), haben ein deutlich geringeres Risiko, an MS zu erkranken. Auch das humane Herpes-Virus-6-wird mit dem Auftreten der MS in Verbindung gebracht.

Virale Atemwegsinfektionen mit saisonaler Häufung werden mit einem erhöhten Schubrisiko in Zusammenhang gebracht. Auch bakterielle Infektionen, etwa mit Chlamydien, werden immer wieder angeschuldigt und wurden sogar als „Auslöser“ einer MS bezeichnet, was letztlich nicht bewiesen werden konnte.

Es existieren Hinweise, dass das MS-Risiko durch eine vermehrte moderate Sonnenexposition, die für die Bildung von Vitamin D bedeutsam ist, abnimmt und dass ein Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Spiegel und Schubrate sowie Ausmaß der neurologischen Beeinträchtigung besteht.

Wegen eines Zusammenhanges zwischen chronischem Stress – meist in Form von emotionalen oder sozialen Belastungen – und einer Zunahme der Krankheitsaktivität bei MS, werden frühzeitige medizinische, psychologische und soziale Maßnahmen angeraten.

Rauchen ist ein Risikofaktor für MS und hat einen negativen Einfluss auf den Verlauf.

Sonnenlichtexposition, Vitamin D und Multiple Sklerose

Aufgrund der geografischen Verteilung von MS und der oben erwähnten Migrationsstudien zeigt sich, dass die Prävalenz der MS vom Norden nach Süden abnimmt. Vermutet wurde daher, dass die Sonnenlichtexposition dabei eine Rolle spielt. Unmittelbar abhängig von der UV-Exposition ist ja die Fähigkeit des Menschen, Vitamin D zu bilden. Aus retrospektiven Studien gibt es Hinweise, dass das MS-Risiko durch eine vermehrte moderate Sonnenexposition abnimmt. Dies ist auch in Übereinstimmung mit Daten, die zeigen, dass ein Vitamin-D-Spiegel von 50 nmol/l und darüber ein geringeres Risiko hat, eine MS zu entwickeln.

Der Vitamin-D-Spiegel hat einen gewissen Einfluss auf den Krankheitsverlauf und niedrige Vitamin-D-Spiegel sind mit einem höheren Maß von Behinderung verbunden. Zusätzlich gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Spiegel und Schubrate. Bei Patienten und Patientinnen, die mit Interferon-beta behandelt wurden, ist die Zunahme neuer MRT-Läsionen invers korreliert, also in umgekehrtem Zusammenhang zum Vitamin-D-Spiegel stehend. Bei Patienten und Patientinnen mit hohen Vitamin-D-Spiegeln (> 100 nmol/l) war dieser Effekt am deutlichsten. Keinen Einfluss hingegen hatte Vitamin D auf die Schubrate und den EDSS sowie die Hirnatrophie.

Noch viele Fragen ungeklärt

Zum jetzigen Zeitpunkt existiert noch keine sichere Empfehlung, dass die konsequente Vitamin-D-Verabreichung zu einer tatsächlichen Beeinflussung der Erkrankung führt. Dennoch kann Menschen mit MS geraten werden, die Bestimmung eines Vitamin-D-Ausgangswertes (Bluttest) durchführen zu lassen und normale bzw. hochnormale Vitamin-D-Spiegel (> 50 nmol/l) durch Sonnenexposition, gegebenenfalls durch Vitamin-D-Präparate, anzustreben.

Literatur

Bajer-Kornek B, Berger T, Deisenhammer F, et al. Welchen Stellenwert besitzt Vitamin D in der Behandlung (und Prophylaxe) der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose? Stellungnahme des Ärztebeirats der OMSG, Februar 2014. Neue Horizonte 2/2014

Ascherio A, Munger KL, White R, et al. Vitamin D as an early predictor of multiple sclerosis activity and progression. JAMA Neurol 2014; 71: 306–314

Hempel S, Graham GD, Fu N,  et al. A systematic review of modifiable risk factors in the progression of multiple sclerosis. Mult Scler. 2017 Apr;23(4):525-533.

Quelle: Ulf Baumhackl, Thomas Berger (Hg.): ÖMSB Österreichische Multiple Sklerose Bibliothek. Evidenzbasierte Informationen zu allen Aspekten der MS für Betroffene sowie Ärzte und Ärztinnen