Schwangerschaft und Stillzeit bei Frauen mit Multipler Sklerose
Aus medizinischer Sicht gibt es für Frauen mit Multipler Sklerose kaum einen Grund, auf eine Schwangerschaft zu verzichten, denn sie bekommen beinahe genauso häufig ein gesundes Kind wie Frauen ohne MS. Auch der Langzeitverlauf der Erkrankung wird durch Schwangerschaft, Geburt und Stillen nicht negativ beeinflusst.
Da fast alle gängigen Medikamente zur Therapie der Multiplen Sklerose in der Schwangerschaft und Stillzeit kontraindiziert sind, wird eine Unterbrechung der Therapie bzw. eine Beendigung
meist schon vor einer geplanten, spätestens aber mit Eintritt der Schwangerschaft empfohlen. Meist ist in der Schwangerschaft aufgrund des günstigen natürlichen Verlaufs keine immunmodulatorische Therapie notwendig.
Schwangerschaft
Bei Frauen mit MS beruhigt sich in der Schwangerschaft sehr häufig die Schubaktivität, da natürliche, immunsuppressive Faktoren im Blut wirksam werden und der Kortisolspiegel ansteigt.
Studien mit Frauen, die während der Schwangerschaft keine MS-Therapie erhielten, zeigen, dass das Schubrisiko im Verlauf der Schwangerschaft abnimmt. Allerdings kommt es nach der Geburt meist wieder zu einem Schubanstieg. Bislang wurde noch nicht untersucht, ob dies auch bei Frauen der Fall ist, die unter einer MS-Therapie schwanger geworden sind oder die Therapie erst kurz vor dem Eintritt einer Schwangerschaft abgesetzt haben.
Die klinische Erfahrung zeigt, dass das Schubrisiko in der Schwangerschaft umso höher ist, je höher die Krankheitsaktivität zuvor war. Vor allem bei Frauen, die stärker wirksame MS-Therapien abgesetzt haben, können während einer Schwangerschaft Schübe auftreten, wobei das individuelle Risiko nicht bekannt ist.
Aus diesem Grund sollten vor allem Frauen mit hochaktiver MS eine geplante Schwangerschaft mit ihrer Neurologin bzw. ihrem Neurologen besprechen und Folsäure einnehmen“, lautet die Empfehlung von Univ.-Prof. Dr. Kerstin Hellwig vom MS-und-Kinderwunsch-Register-Team am Universitätsklinikum Bochum, Deutschland, bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Stuttgart.
Tritt während der Schwangerschaft ein schwerer Schub auf, wird nach dem ersten Schwangerschaftsdrittel ein Kortisonpräparat (meist Dexamethason) verabreicht. Im ersten Schwangerschaftsdrittel wird eine Kortisontherapie besonders sorgfältig abgewogen. Als Alternative ist auch eine Plasmapheresetherapie in jedem Abschnitt der Schwangerschaft möglich, wobei diese Therapie aber spezialisierten Zentren mit entsprechender Dialyseeinheit vorbehalten bleibt.
Art der Entbindung
Da Schwangerschaften bei Frauen mit und ohne MS ähnlich verlaufen, sollten sich keine Einschränkungen für die Geburt durch die MS ergeben. Lediglich bei einer relevanten körperlichen Behinderung kann es zu einer Verzögerung des Geburtsvorganges kommen. Es ist also weder generell ein Kaiserschnitt nötig noch gibt es Einschränkungen hinsichtlich einer Vollnarkose oder Peridural- bzw. Spinalanästhesie bei einem Kaiserschnitt, da das Schubrisiko davon nicht beeinflusst wird.
Schwangere sollen sowohl die Gynäkologin bzw. den Gynäkologen als auch die Hebamme, von denen sie während der Geburt betreut werden, über ihre MS-Erkrankung informieren.
Stillen mit MS
Frauen mit leichter bis moderater Krankheitsaktivität können stillen, jedoch sollte innerhalb des ersten Lebensjahres sukzessive abgestillt werden. „Ausschließliches Stillen für mindestens zwei Monate kann das Schubrisiko eventuell sogar moderat senken“, erklärte Hellwig. Wird die Beikost eingeführt, ist das Schubrisiko deutlich niedriger als direkt nach der Geburt.
In den ersten Monaten nach der Geburt kann es zum Wiederauftreten einer erhöhten Krankheitsaktivität kommen.
In der Stillzeit auftretende Schübe können mit hochdosierten Steroiden behandelt werden, wobei Hellwig eine Stillpause von vier Stunden empfiehlt. In manchen Fällen wird eine Behandlung mit intravenösen Immunglobulinen empfohlen, da diese die eventuell erhöhte Schubrate nach der Schwangerschaft senken können und keine negativen Auswirkungen auf den Säugling haben. Treten dennoch neue Schübe auf, sollte abgestillt und eine immunmodulierende Therapie eingeleitet werden.
Wiederaufnahme der MS-Therapie nach der Geburt
Es gibt keine allgemeinen Empfehlungen, wie rasch nach dem Stillen mit einer medikamentösen MS-Therapie begonnen werden sollte. Frauen, die nicht stillen möchten oder eine hohe Krankheitsaktivität vor oder während der Schwangerschaft aufweisen, empfiehlt Hellwig, in den ersten zwei Wochen nach der Geburt wieder mit der MS-Therapie zu beginnen.
Manche MS-Medikamente gelangen wahrscheinlich nicht in die Muttermilch, andere überwinden zwar die Blut-Milch-Schranke, wirken sich aber nicht negativ auf den Säugling aus. Die Entscheidung, unter einer MS-Therapie zu stillen, sollte nur nach intensiver Risiko-Nutzen-Abwägung unter Berücksichtigung des potenziellen Risikos für den Säugling und des Risikos eines schweren Schubes erfolgen und muss mit der behandelnden Neurologin bzw. dem behandelnden Neurologen besprochen werden. Derzeit ist kein MS-Medikament zur Anwendung in der Stillzeit zugelassen.
Benötigen Sie aktualisierte Informationen zum Thema Stillen und Antikörpertherapien, wenden Sie sich bitte an die Leiterin des deutschsprachigen MS-und-Kinderwunsch-Register-Teams am Universitätsklinikum Bochum, Univ.-Prof. Dr. Kerstin Hellwig.
Quelle: DGN-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Multiplen Sklerose; MS und Kinderwunschregister; Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 27. September 2019, Stuttgart