Therapie bei leichter/moderater schubförmiger Multipler Sklerose
Das Therapiekonzept der schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose (Relapsing Remitting Multiple Sclerosis, RRMS), der häufigsten Form der Multiplen Sklerose, sieht vor, dass immunmodulierende Medikamente in Abhängigkeit zum Krankheitsverlauf eingesetzt werden. Dabei wird zwischen mildem/moderatem Verlauf und (hoch-)aktivem Verlauf unterschieden.
Für die milden/moderaten Verläufe stehen folgende Medikamente als Basistherapie zur Verfügung:
- Interferon-beta 1a
- Interferon-beta 1a
- Pegyliertes Interferon-beta 1a
- Interferon beta 1b
- Glatirameracetat
- Glatirameracetat
- Dimethylfumarat
- Teriflunomid
- Azathioprin bzw. intravenöse Immunglobuline spielen in der modernen Therapie der RRMS keine bedeutende Rolle mehr und gelten als Therapien der dritten Wahl
Für alle Interferon-beta-Präparate und für Glatirameracetat, das einen unterschiedlichen Wirkmechanismus im Vergleich zu Interferon-beta besitzt, existieren Langzeitbeobachtungen von über 20 Jahren. Die langjährige Verwendung erbrachte Hinweise auf eine anhaltende Wirksamkeit und ein sehr gutes Sicherheitsprofil.
Für die neuen oralen Arzneimittel Dimethylfumarat und Teriflunomid liegen ähnlich lange Therapieerfahrungen selbstverständlich nicht vor. Ein Vergleich der Wirksamkeit der oralen Medikamente gegenüber den schon länger verfügbaren Präparaten ist nur eingeschränkt möglich, für Teriflunomid dürfte diese etwa im gleichen Bereich liegen. Dimethylfumarat wird aufgrund der höheren jährlichen Reduktion der Schubrate als etwas stärker wirksam bewertet. Diagnosestellung, Verordnung, Einstellung, Therapiekontrolle und Dokumentation sollen durch ein MS-Zentrum erfolgen.
Generell wird der möglichst frühzeitige Beginn einer verlaufsmodifizierenden Therapie empfohlen. Bei unzureichender Wirksamkeit soll eine Optimierung der Behandlung vorgenommen werden, diese kann durch einen Wechsel des Medikamentes innerhalb der Basistherapeutika oder gegebenenfalls durch eine Steigerung der Behandlung in Form einer Eskalationstherapie erfolgen.
Wirkmechanismus
Durch MS-Therapien, die auf das Immunsystem abzielen, können weniger autoaggressive Lymphozyten in das zentrale Nervensystem (ZNS) einwandern, um dort die typische Entzündungsreaktion zu unterhalten. Die Immunmodulation beruht auf unterschiedlichen Mechanismen und reicht von der Reduktion entzündungsfördernder Botenstoffe über das Immunbotenstoff-Netzwerk (IFN-ß-Präparate), die Umverteilung von autoaggressiven T-Lymphozyten zugunsten entzündungshemmender Zellen (Glatirameracetat) über die Blockade eines Enzyms, das für die Produktion aktiver Lymphozyten benötigt wird (Teriflunomid), bis zum Eingriff in die Kommunikationsmechanismen innerhalb der weißen Blutkörperchen (Dimethylfumarat) mit zytoprotektivem (zellschützendem) und antiinflammatorischem (antientzündlichem) Effekt.
Nebenwirkungen und Kontraindikationen
Die Erfahrung durch die langjährige Verwendung von in Spritzenform zu verabreichenden Medikamenten (Injektabilia) zeigt ein sehr gutes Sicherheitsprofil. Diesbezügliche Erfahrungswerte sind bei den neuen oralen Medikamenten eingeschränkt. Bei Teriflunomid ist das initiale sehr engmaschige Monitoring und die sichere Empfängnisverhütung zur strikten Vermeidung einer Schwangerschaft aufgrund potenziell fruchtschädigender Nebenwirkung zu beachten. Auch bei Dimethyfumarat ist die strikte Therapieüberwachung sehr wichtig, da – insbesondere bei längerfristigem Abfall der Lymphozytenzahlen im Blut – seltene Fälle einer schwerwiegenden progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) aufgetreten sind.
Abbildung 1a und b: Die wichtigsten klinischen Studienergebnisse aus den Zulassungsstudien der jeweiligen Medikamente, die zur Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose mit leichtem bis moderatem Verlauf zur Verfügung stehen (modifiziert nach Soelberg Sorensen, 2014).
Es sind die Zulassungsstudien dargestellt, die den Therapieeffekt über ca. 2 Jahre untersuchten, bei IFN-ß-1a 30 μg/Woche i. m. sind sowohl die Daten für die „intent to treat“ (ITT)-Population als auch für die Patienten und Patientinnen, die die Studiendauer von 2 Jahren vollendeten, dargestellt.
a Jährliche Schubratenreduktion in den jeweiligen Behandlungsarmen im Vergleich zur Placebogruppe.
b Reduktion der bestätigten Behinderungsprogression; dargestellt ist die bestätigte Behinderungsprogression über 3 Monate mit Ausnahme von IFN-ß-1a 30 μg/Woche i. m. (bestätigte Behinderungsprogression über 6 Monate).
Tabelle: Die häufigsten bzw. typischen Nebenwirkungen sowie besonders beachtenswerte Kontraindikationen der zur Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose mit leichtem bis moderatem Verlauf zur Verfügung stehenden Therapeutika.
Indikationen (EMA, Erstattungskodex)
Seit März 2017 steht neben Copaxone® (20 mg täglich s. c. und 40 mg 3×/Woche) mit Perscleran® (20 mg täglich s. c.) ein weiteres Glatirameroid-Präparat zur Verfügung. Entsprechend der derzeitigen Datenlage (Stand 2018), die bei dem neuen Medikament naturgemäß deutlich weniger umfangreich ist, scheinen die Wirkung, aber auch das Nebenwirkungsprofil von Copaxone® und Perscleran® vergleichbar zu sein.
Attraktiv ist das neue Glatirameroid-Präparat vor allem auch für die Kostenträger, da der Preis im Vergleich zu den bisherig verfügbaren Medikamenten deutlich geringer ist. Die Herstellung der Glatirameroide ist sehr aufwändig und es kann nicht davon ausgegangen werden, dass beide Präparate ident sind. Entsprechend der Meinung vieler MS-Expertinnenund -experten sollte daher eine erfolgreiche Therapie aus Kostengründen nicht gewechselt werden.
Tabelle: Indikationen für die zur Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose mit leichtem bis moderatem Verlauf zur Verfügung stehende Medikation entsprechend den Vorgaben der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und wesentliche Voraussetzungen für die Bewilligung des jeweiligen Medikaments entsprechend dem Erstattungskodex (EKO) des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger
Ausgewählte Literatur
Leitlinien der Deutschen und Österreichischen Gesellschaft für Neurologie; 5., überarb. Aufl. 2012, Ergänzung August 2014; Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose; http://oegn.at/neurologie-in-oesterreich/leitlinien/, http://www.kompetenznetz-multiplesklerose.de/
Sorensen PS. New management algorithms in multiple sclerosis. Curr Opin Neurol 2014; 27(3): 246–259